Von Trojanischen Pferden und faulen Eiern (Forschung)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 01.03.2011, 00:38 (vor 5023 Tagen) @ Sektor3

Ganz schlimm finde ich, wenn Doktoranden ungeprüft bahnbrechende Behauptungen aufstellen dürfen, wie die Behauptung, dass hochfrequente elektromagnetische Felder DNA-Strangbrüche auslösen würden.

Also gut. Schauen wir uns mal den Text an, aus dem Sie diese "bahnbrechende" Behauptung heraus gefischt haben. Dort steht ja noch einiges mehr. Ich habe mir erlaubt den Text dort GRÜN zu färben, wo ich eine entwarnende Wirkung auf die EMF-Debatte sehe. Respektive markiert ROT Passagen, die eine alarmierende Wirkung haben, GRAU sehe ich als neutral. Und los geht's, das Ganze also noch mal:

DNA-Brüche stellen einen sehr empfindlichen und frühen Parameter zur Messung genotoxischer Effekte dar. Die biologische Bedeutung der DNA-Strangbrüche ist jedoch unklar, da diese zum Beispiel auch bei sportlichen Aktivitäten wie Laufen etc. auftreten und vom Körper meist effektiv repariert werden können. Untersuchungen mit ionisierenden Strahlen zeigen eine rasche und vollständige Reparatur der Schäden an. Es ist daher davon auszugehen, daß mögliche Strangbrüche, die auch durch nicht-ionisierende Strahlung wie hochfrequente elektromagnetische Felder ausgelöst werden, rasch und effektiv repariert werden. Somit stellt sich die Frage ob der Nachweis von DNA Strangbrüchen angesichts ihrer unklaren biologischen Bedeutung als ein alleiniger Parameter ausreichend sei. Aus diesem Grund sind zusätzliche, stützende Befunde wie die Untersuchungen zur Zellproliferation, Zellzyklus oder Zellwachstum sowie von Apoptosevorgängen unerlässlich.

Aus diesem Grund legten die Autoren der bereits weiter oben genannten Reflex-Studie 2004 (http://www.izgmf.de/Reflex-Project-Zusammenfassung.pdf) auf ergänzende Untersuchungen zum Wachstumsverhalten und zu Apoptosevorgängen besonderen wert. Bei humanen Fibroblasten, Granulosazellen und HL-60-Zellen konnten nach 24 stündiger Exposition mit 1800 MHz (GSM) und 1900 MHz (GSM) bei SAR-Werten von 0,3 bis 2 W/kg DNA-Einzel und Doppelstrangbrüche nachgewiesen werden. Die näher untersuchten HL-60-Zellen zeigten jedoch weder Veränderungen der Zellproliferation, des Zellzyklus oder des Zellwachstums noch Anzeichen von Apoptosevorgängen. Dieses letztgenannte Ergebnis der Reflex-Studie korreliert mit den Daten, die auch in dieser Arbeit mit demselben Zellsystem gefunden wurden.

Zusammenfassend lässt sich somit sagen, daß die in beiden Arbeiten gefundenen DNA-Schäden zu keiner Änderung des Wachstumsverhaltens der bereits transformierten menschlichen Tumorzellen führten. Somit ist eine Kanzerogenität der einwirkenden HF-EMF in diesem hochspeziellen Zellsystem nicht nachzuweisen.
Der Nachweis genotoxischer Wirkungen durch HF-EMF auf bereits transformierte HL-60-Zellen kann nicht automatisch auf andere Zellen, besonders nicht auf primäre Zellen, und schon gar nicht auf Organismen bzw. auf den Menschen übertragen werden.

Schlußfolgernd aus dem Vergleich der Ergebnisse dieser Doktorarbeit und den oben erwähnten Studien kann festgestellt werden, daß es bisher keinen unwidersprochenen Nachweis direkter oder indirekter genetischer Schäden durch Exposition mit HF-EMF in Form von DNA-Strangbrüchen gemessen mit dem Comet-Assay gibt.

Aus meiner Sicht wird die Textpassage, die Sie so schlimm finden, kompensiert durch z.B.: "Die näher untersuchten HL-60-Zellen zeigten jedoch weder Veränderungen der Zellproliferation, des Zellzyklus oder des Zellwachstums noch Anzeichen von Apoptosevorgängen." Wenn dieser Satz eines der Trojanischen Pferde sein soll, um das faule Ei ins Ziel zu schmuggeln, dann bleibt das Pferd mMn weit vor der Festung stehen, weil auch stark in Gegenrichtung gezogen wird. Womit ich sagen will: Ihre unausgesprochene Interpretation, der zufolge der Faules-Ei-Satz - also der mit den DNA-Schäden infolge NIR - in voller Absicht so und nicht anders formuliert wurde, steht mMn auf wackligen Beinen. Ebenso gut könnte einer angehenden Biochemikerin, die nicht Germanistik studiert hat, beim Schreiben der Doktorarbeit nachts um halb drei auch mal ein Konjunktiv an die falsche Stelle gerutscht sein.

Und ob das BfS die 0,5 Gy tatsächlich bei der Reflex-Bewertung generös übersehen hat, das lässt sich mit ziemlicher Sicherheit an der Prägnanz der Antwort erkennen, wenn das Amt danach gefragt wird. Welche zwickmühlenartige Fragestellung würde Ihnen denn da so vorschweben?

Was ich jedoch einräume ist, dass der hier betrachtete Ausschnitt aus der Doktorarbeit "Reflex" nicht angreift, sondern eher gut heißt, was mMn in Anbetracht der Umstände und des Datums der Arbeit jedoch nicht besonders unerwartet kommt. Warum ich diese Doktorarbeit überhaupt noch einmal ausgegraben habe sind die mMn deutlich überwiegenden entwarnenden Töne, die ich darin erkenne. Das passt in keiner Weise zu den kreischenden Krebs-Alarmtönen, die von den bekannten Lautsprechern der Szene im Zusammenhang mit "Reflex" immer wieder mal angestimmt werden. Inzwischen sind diese Jungs schon ins Stadium II gefallen, feiern - wie Hans-Ueli - inbrünstig und unisono die längstens replizierte und anerkannte "Rüdiger-Studie" :wink:.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Replikation, Fibroblasten, HL-60-Zellen, DNA-Brüche, Chemiker, Doppelstrangbrüche, Germanist


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