Bad Lausick: Elektrosensible Frau erdet sich am Schutzleiter (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 29.08.2012, 00:12 (vor 4488 Tagen)

Auszug aus LVZ online (Leipziger Volkszeitung):

"Der Bürgermeister nimmt damit [...] Bezug auf die Bemühungen der Steinbacherin Silvia Czub, für das Dorf, möglichst aber grundsätzlich nicht via Funk, sondern per Verkabelung die Breitband-Versorgung auf den neuesten Stand zu bringen. Die 47-Jährige leidet an EHS, Elektro-Hypersensibilität. Dafür macht sie hochfrequente Wellen verantwortlich. „Dieses Thema wird bei der Entscheidungsfindung gewiss eine Rolle spielen", sagt Eisenmann. Immerhin gebe es einige Menschen, die auf Funkwellen sehr sensibel und mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen reagierten. [...]

Czub will das Angebot des Bürgermeisters annehmen, einen Blog zu erstellen, der das Thema Strahlung aufgreift und der mit der Homepage der Stadt verlinkt wird. So ein Blog, wie er in Bad Lausick schon beim Windrad-Streit installiert worden war, sei effektiver und nachhaltiger als eine bloße Informationsveranstaltung, so Eisenmann."

Der Artikel in LVZ online ist vom 21. August. Und schon am 24. August hat Frau Czub einen knapp 11-minütigen Auftritt als Elektrosensible bei der ARD-Anstalt MDR. Was Sie dort sagte, kann man sich <hier> anhören. Es ist eine dieser üblichen Überzeugungsgeschichten, mit denen es EHS immer wieder einmal in die Medien schaffen. Das Wichtigste in Kürze:

Frau Czub ist seit 10 Jahren in Behandlung, doch dass es Elektrosensibilität (EHS) ist, die sie plagt, weiß sie erst seit 5 Jahren. Die Funkwellen drücken ihr aufs Herz. Schon ab 2 bis 5 µW/m² könne sie es nicht mehr aushalten, an anderer Stelle sagt sie, bei diesen Werten würde die Belastung beginnen. Sie hat viele Ärzte abgeklappert, die hätten ihr bescheinigt, organisch gesund zu sein. Ein Hausarzt meinte, das Leiden sei psychosomatisch. An ihrem ursprünglichen Wohnort, ein Reihenhaus, habe sie im Keller geschlafen. Ursache: W-LAN und DECT der Nachbarn. Selber hätte sie früher ebenfalls W-LAN gehabt und da sei ihr aufgefallen: W-LAN ein, schlechtes Befinden, W-LAN aus, blendendes Befinden. Auch einen nahe gelegenen Vodafone-Mobilfunkmasten spürt sie. Dann sei sie zu ihrem jetzigen Mann gezogen in den Ortsteil Steinbach von Bad Lausick. Sie schätzt, 10 % der Deutschen sind EHS. Und sie hat ins MDR-Studio ihr Messgerät mitgebracht, natürlich eines aus bayerischer Produktion, das so schön knattert. Momentan bauen die Czubs ein neues Haus - mit 50 cm dicken Außenwänden. Krönende Aussage: Nachts steckt die 47-Jährige einen Netzstecker ohne Stifte in die Steckdose, daran hängt ein Kabel, das bis ins Bett reicht, mit blankem Ende. Das Kabel ist via Stecker mit dem Schutzkontakt der Steckdose verbunden. Geht es ihr schlecht, greift sie fest das blanke Kabelende. Das tut ihr gut. Czub: "Das zieht den Strom aus dem Körper". *Seufz*. Zum Abschied bedankt sich Moderator Axel Bulthaupt auch noch artig für "erhellende Erkenntnisse". Nochmal *Seufz*.

Kommentar: Originell an dieser Fallgeschichte ist nur die "Entladung" über den Schutzleiter einer Netzsteckdose. Das eigentlich spannende ist mMn aber etwas ganz anderes, nämlich: Wie kommt Frau Czub mit ihrer abenteuerlichen Geschichte urplötzlich gleich zweimal nacheinander in die Medien? Die Frau ist als EHS im Internet ein weißer Fleck, völlig unauffällig. Aller Voraussicht nach wurde auch bei ihr diskret nachgeholfen und die Presse scharf gemacht. Denkbar wäre z.B. jemand, der davon einen materiellen Nutzen hat (Grundeigentümer), wenn das Dorf Steinbach nicht über Funk, sondern über Kabel ans schnelle Internet angebunden wird. Auch der ortsansässige Anbieter baubiologischen Baumaterials dürft sich über das Medieninteresse an Frau Czub freuen. Das alles ist mMn eine Farce, denn auch Frau Czub wird - wie alle anderen überzeugten EHS vor ihr - versagen, wenn sie im wissenschaftlichen Blindversuch Auskunft geben soll, ob bei ihr W-LAN ein- oder ausgeschaltet ist. Dass Bad Lausicks Bürgermeister Josef Eisenmann die hanebüchene Story der Frau anscheinend dennoch für wahr hält, wirft kein gutes Licht auf seine Urteilsfähigkeit. Andererseits: Wer nach dem dümmlichen Stichwort "Elektrohypersensibilität" sucht, bekommt das, was er verdient, nämlich viel Mist, vielfach mit pseudowissenschaftlichem Habitus. Selbst Reizworte wie "Mayakalender" bringen bessere Ergebnisse. Eine Diskussion, was "besser" ist, können wir von mir aus am 22. Dezember führen.

Zuerst gefunden hat diese lausige Sommerloch-Geschichte über eine sogenannte Elektrosensible in dem Ex-DDR-Nest Bad Lausick Teilnehmer "handystrahlung" im GHz-Forum.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
BUND, Selbstdarstellung, Medien, Fallgeschichten, MDR, Scheitern, Sommerloch, Beeinträchtigung, Czub, Geschädigte


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