12. BfS korrigiert eigene Falschmeldung (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 08.12.2024, 16:40 (vor 4 Tagen) @ H. Lamarr

Seit 30. Oktober 2024 behauptet der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk auf seiner Website, das Bundesamt für Strahlenschutz habe eine eigene Falschmeldung zu Handy, Krebs und WHO korrigiert! Halbherzig werde ein Fehler zugegeben und der Verein klagt an: Wo bleibt die öffentliche Korrektur? Das IZgMF ist den saftigen Vorwürfen nachgegangen und stellt fest: Die Vorwürfe sind nicht alle aus der Luft gegriffen, bei Licht besehen jedoch so folgenschwer wie ein Sack Reis, der in Peking umgefallen ist.

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Der Einstieg des besagten Diagnose-Funk-Beitrags ist etwas wirr und vernebelt den Blick auf das, was der Verein dem Amt vorwirft. Stein des Anstoßes ist eine systematische Review, die im Auftrag der WHO geprüft hat, ob der gegenwärtige wissenschaftliche Kenntnisstand den Verdacht stützt, HF-EMF führe zu einem höheren Hirntumorrisiko. Den Autoren der Review zufolge konnten sie den Verdacht weder bestätigen noch widerlegen, für eine verbindlichere Bewertung waren die Ergebnisse der analysierten Primärstudien nicht aussagekräftig genug.

Nachdem die Review im September 2024 veröffentlicht wurde, bot die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ihren Abonnenten eine Meldung an, die von vielen Medien übernommen wurde.

Verdrehung durch die Medien

Diagnose-Funk empört sich nun darüber, eine Aussage des BfS-Mitarbeiters und Mitautors der Review, Dan Baaken, sei in der dpa-Meldung so schwammig formuliert, dass die Medien die Aussage verdreht weiterverbreitet hätten. Die fragliche Textpassage lautet bei Diagnose-Funk:

[...] Allerdings sprach Baaken von einer Studie für die WHO, aber in so schwammiger Formulierung, dass die Presse daraus eine Studie der WHO machen konnte. [...]

Die für Diagnose-Funk ungewöhnlich scharfsinnige Beobachtung einer mithilfe von Präpositionen verdrehten Sachaussage beruht möglicherweise auf dem Motiv, dass eine Studie der WHO einen höheren Prestigewert hat als eine Studie für die WHO. Die Prüfung der Behauptung anhand von vier willkürlich herausgegriffenen Medienberichten über die Review (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3, Beispiel 4) ergibt jedoch: Alle vier Berichte benennen die WHO korrekt als Auftraggeber der Review und nicht als deren Autor. Sollte die dpa-Meldung von Medien überhaupt verdreht worden sein, wie Diagnose-Funk es behauptet, dann mutmaßlich von nur wenigen und keinesfalls von allen. Weil aber redaktionelles Versagen einzelner Medien schwerlich dem BfS angelastet werden kann, darf dieser Vorwurf von Diagnose-Funk getrost als erledigt zu den Akten gelegt werden.

Verdrehung durch das BfS

Doch die Stuttgarter geben sich so schnell nicht geschlagen.

Am 18. September 2024 veranstalteten die Zeitschrift Asu (Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin) und die Fachgesellschaft Dgaum (Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin) das Webinar "Gesundheitliche Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder".

Vier Referenten trugen vor:

► Dan Baaken, Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder (KEMF), Cottbus
► Martin Röösli, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut, Universität Basel, Schweiz
► Florian Kohn, Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder (KEMF), Cottbus
► Felix Meyer, Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Kompetenzzentrum Elektromagnetische Felder (KEMF), Cottbus

Diagnose-Funk empört sich jetzt darüber, ein Referent des KEMF habe während seines Vortrags eine Folie gezeigt, auf der u.a. zu lesen sei "Systematischer Review der WHO zum Endpunkt Krebs" und "Fazit der WHO". Dabei habe sich die WHO bislang zu den von ihr bestellten und inzwischen vorgelegten Reviews noch gar nicht öffentlich geäußert. Als Beweisstück für den Frevel zeigt der Verein einen Screenshot der besagten Folie mit dem Bildtext:

Folie 22 des Vortrags des BfS auf der DGAUM / ASU Tagung vom 18.09.2024

Bemerkenswert: Innerhalb weniger Zeilen wurde aus dem Vortrag eines namentlich nicht genannten Referenten des KEMF (erst später wird klar, gemeint ist Florian Kohn) ein Vortrag des BfS. Ich erkenne darin das Bemühen des Vereins, den mMn undramatischen Fehler Kohns dem BfS hochgestuft zum Kardinalfehler in die Schuhe zu schieben.

Um die Hochstufung kümmerte sich Diagnose-Funk mit Eile. Zuerst fragte der Verein am 19. September 2024 beim BfS an, wo denn das auf Folie 22 erkennbare "Fazit der WHO" zu finden sei. Worauf das Amt in Gestalt von Florian Kohn am 15. Oktober 2024 einräumen musste, seiner Kenntnis nach habe die WHO die Reviews bisher nicht bewertet. Jetzt zündete Diagnose-Funk Stufe 2 und wollte wissen, wie Kohn seine Aussagen gegenüber den Webinarteilnehmern und der Öffentlichkeit berichtigen wolle. Das Amt informierte daraufhin noch im Oktober den Veranstalter des Webinars, der seinerseits alle Teilnehmer mit einem Textblock des BfS in Kenntnis setzte:

[...] Wir haben den Hinweis bekommen, dass Inhalte unserer Vorträge möglicherweise anders interpretiert werden konnten, als von uns beabsichtigt.

Wir möchten noch einmal unterstreichen, dass die zitierten systematischen Reviews nicht die Meinung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darstellen, sondern die Meinung der von der WHO beauftragten Wissenschaftler*innen. [...]

Damit sollte sich der Sturm im Wasserglas eigentlich gelegt haben, schließlich zeigte das Amt erkennbar guten Willen, zur Schadensbegrenzung beizutragen und den Schaden dort zu begrenzen, – nämlich bei den Webinarteilnehmern, – wo er eintreten könnte. Diagnose-Funk ist damit aber nicht zu beruhigen. Der Verein bläht die elf Buchstaben schwere Verfehlung Kohns in gespielter Entrüstung zu einem Ballon auf und teilt seinen Anhängern Dramatisches mit:

Dem BfS wird klar sein, was es mit diesen Falschmeldungen gesundheitspolitisch angerichtet hat. Sie verursacht damit, dass Millionen Kinder und Erwachsene das Handy sorglos nutzen, obwohl Risiken nachgewiesen sind. Das ist kein Einzelfall, sondern hat System. [...]

Schlussfolgerungen

► Einer von etwa 660 Mitarbeitern des BfS hat anlässlich eines Webinars mit öffentlich unbekannter Teilnehmerzahl fälschlich von einer Krebsreview der WHO gesprochen und von einem Fazit der WHO. Richtig ist: Die WHO hat die fragliche systematische Krebsreview nicht selbst erstellt, sondern bei einer Autorengruppe in Auftrag gegeben und das Fazit ist keines der WHO, sondern wortwörtlich das, welches die Autorengruppe zu Beginn ihrer Review unter Highlights nennt.
► Die Schlussbehauptung des Vereins, Millionen Kinder und Erwachsene würden das Handy sorglos nutzen, obwohl Risiken nachgewiesen sind, ist falsch. Richtig ist, Handynutzung ist möglicherweise mit der Gefahr eines Hirntumors verbunden. So hat es die Krebsagentur der WHO (Iarc) 2011 mit der 2B-Eingruppierung von HF-EMF verkündet. Bekanntlich gilt: Risiko = Gefahr x Eintrittswahrscheinlichkeit. Doch über die Eintrittswahrscheinlichkeit gibt Iarc bei keiner ihrer Krebseingruppierungen Auskunft, womit ihre Bewertungen zweifelsfrei der Gefahr und nicht dem Risiko gelten. Deshalb wäre es auch nicht umwerfend dramatisch, würde HF-EMF künftig hochgestuft auf 2A oder sogar 1, weil sich dadurch am Risiko für die Bevölkerung nichts ändert, solange die geltenden Grenzwerte eingehalten werden.
► Die Verfehlung des BfS-Mitarbeiters wiegt nicht schwer, da es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die WHO die Erkenntnisse der Autorengruppe offiziell zueigen machen wird. Denn die von der WHO in Auftrag gegebenen systematischen Reviews, darunter die Krebsreview, werden maßgeblich die für 2025 erwartete neue EHC-Monographie der WHO über HF-EMF prägen. So gesehen war der angegriffene BfS-Mitarbeiter mit seinen Äußerungen seiner Zeit nur ein paar Monate voraus.
► Der Verein Diagnose-Funk dramatisiert den Vorfall zu einer "Falschmeldung" und versucht, mit dem Bagatellfehler eines einzigen Mitarbeiters die Integrität des gesamten Bundesamts infrage zu stellen. Der Verein macht dies nicht zum ersten Mal.
► Wo Diagnose-Funk mit seinem Artikel landen konnte, ist hier ersichtlich. Heute konnte ich ganze sieben relevante Treffer finden: 3 x Baubiologe, 1 x Elektrosensibler, 2 x Privatpersonen auf Twitter (X), 1 x Privatperson auf Instagram, 0 x Treffer von Bedeutung. Das ist irritierend schwach und ich frage mich, ob es überhaupt notwendig ist, dem Wirken von Diagnose-Funk so viel Aufmerksamkeit zu schenken.
► Jeder Stammleser dieses Forums weiß: Steinewerfer Diagnose-Funk sitzt selbst in einem von Einschlägen übersäten Glashaus.
► Was das BfS selbst zu seiner Mitwirkung an drei der zehn von der WHO beauftragten Reviews zu sagen hat, lässt sich hier nachlesen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Risiko, Entwertung, Diagnose-Funk, BfS, Falschmeldung, Hirntumor


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