haben sie sich wieder etwas beruhigt? (Allgemein)

Christopher, Donnerstag, 25.02.2010, 01:24 (vor 5407 Tagen) @ Pizzamanne

Ich habe den Eindruck dass hier alles was man sagt, sofort durch ein superkritisches alles wissende Superhirn durchgehen muss, das natürlich ganz genau weiss, dass vom Handy und von der Strahlung generell keine Gefahr ausgehen kann.

Nein, muß es nicht. Nur sollte man seine Fähigkeit zu kritischem Denken nicht an der Garderobe abgeben, wenn auf einer Studie "kritisch über Mobilfunk" draufsteht. Auch die Leute, die solche Informationen schaffen (und noch viel mehr diejenigen, die sie mit Vehemenz verbreiten) haben oftmals eine ganz eigene ökonomische Agenda.

Nur, warum sind sie sich so sicher? Können sie denn das Gegenteil beweisen?
Ich warte auf die Studie, die beweist, das der Geldrolleneffekt und andere kritische Studien nachgewiesenermassen kokolores sind.

Diese Studie braucht es nicht: Einfach deswegen, weil die Untersuchung zum Geldrolleneffekt - in Ermangelung einer nicht (bzw. schein-) befeldeten Referenzgruppe keinerlei Aussagewert hat. Man hat ja keinerlei Informationen dazu gesammelt, wie sich die Blutproben bei Probanden verhalten, die mit dem gleichen Zeitintervallen "gepiekst" wurden, aber kein Feld abbekommen hatten.
Was Sie fordern ist übrigens wissenschaftstheoretisch unmöglich: Die Nichtexistenz einer Sache läßt sich nicht beweisen. Und gerade bei der Geldrollenstudie verfährt Prof. Lerchl nach dem berühmten Prinzip, nach dem eine neuartige Erklärung für ein Phänomen abzulehnen ist, wenn sich dieses durch die Anwendung bisher bekannter Gesetzmäßigkeiten vollständig erklären läßt.

Dann werd ich der erste sein, der froh drum ist, der wieder ohne Abschirmnetz mobiltelefoniert, der nachts sein handy wieder anlässt, um auch nachts noch erreichbar zu sein nach dem Vorbild seiner Schüler im Praktikum. Dann werd ich Leuten, die aus eigenen Stücken zu mir kommen, weil sie sich Sorgen, sagen, dass sie sich absolut keine Sorgen zu machen brauchen...

Sie müssen niemandem sagen, er muß sich überhaupt keine Sorgen machen. Nur sollte man die Kirche im Dorf lassen: Das Risiko, daß der tägliche Weg in die Arbeit nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus endet, ist bedeutend größer, als irgendwann wegen seiner Telefoniergewohnheiten an Krebs zu erkranken. Und trotzdem ist noch niemand auf die Idee gekommen, den Leuten zu verbieten, auf der Straße rumzurennen! Vielleicht hilft es, solche Alltagsrisiken einfach mal in Relation zum Mobilfunk zu stellen.

Sie wollen also aufklären über Gefahren, die nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden können.

Gehen sie überhaupt noch offen an die Thematik heran?

Das ist doch der springende Punkt: Es gibt so viele Dinge die nachgewiesenermaßen negative Wirkungen auf die Gesundheit haben (Ernährung, Bewegungsmangel...) - sollte man nicht lieber seinen Fokus darauf richten, die bestätigten (und damit größeren) Gefahren zu vermeiden?
Ein Beispiel: Wenn Sie nach ausgiebigen Neuschneefällen eine Skitour im steilen Gelände machen - was ist Ihre Hauptsorge: Von einer Lawine erwischt zu werden, oder von einem Braunbären gefressen zu werden? Ok, das Braunbärenrisiko kann man nicht ausschließen. Aber das Lawinenrisiko ist doch wohl viel realer und unmittelbarer.

Wen, zum Teufel, wollen Sie da also eigentlich aufklären?

Ich werd ja Lehrer...das heisst, es kommt ab und zu vor dass ich vor vielen jungen Leuten stehe. Achso, sie wissen bereits was das mit dem Lehramtberuf auf sich hat? Au, das tut mir leid...

Nun, stellen sie sich vor, sie haben bereits viel gelesen (z.B. Scheiner: Die verkaufte Gesundheit), sie waren bereits auf Vorträgen (z.B. Elektrosmog2008 in Berlin vom 20.9.08), sie haben kritische Vorträge gehört (z.B. vom Baubiologen Maes), sie haben selbst bereits kritische Erfahrungen gemacht und dann sogar noch kritische Universitätsvorträge zum Thema gehört, außerdem kritische Seitenliteratur gelesen (z.B. Das Vorsorgeprinzip 1898-1998: Späte Lehren von frühen Warnungen), sie haben alles in allem mitbekommen, dass es vielleicht nicht ganz ungefährlich ist, dieser Mobilfunk...

Naja, die Art und Weise, wie die Kritiker mit Quellen umgehen, wie sie nicht reproduzierte (oder ***) Studienergebnisse als unumstößliche Quellen behandelt, sehe ich vor allem als eines: Als Beleidigung meines eigenen kritischen Intellekts. Wer andere beschuldigt, unsauber zu arbeiten, hat eine doppelte Verpflichtung, selbst sauber zu arbeiten. Und wer das nicht tut, hat für mich jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Außerdem hat unser Vater Staat meines Wissens nach bereits in den 80er Jahren selbst zugegeben, dass die Technik gefährlich ist. Heute wollen sie davon nichts mehr wissen, merkwürdig...

Da hätte ich gern eine Quelle zu. "Meines Wissens" ist so wunderbar unverbindlich :)

Und nun stellen sie sich vor, sie müssten mit dieser Vorkenntnis (ob am ganzen nun was dran ist oder nicht) vor der Klasse stehen, wo 28 Leute hocken oder mehr. Und die fragen sie nun, ob Mobilfunk schädlich ist...

Dann würde ich sagen: Gut für die Fingergelenke ist es sicher nicht... Und ansonsten gilt die alte Weisheit: Nicht übertreiben, dann hält sich auch das Risiko in Grenzen. Wie gesagt: Es gibt jede Menge Gefahren, die (erwiesenermaßen) eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit haben als eine (postulierte, unbelegte) Krebsgefahr durch Mobilfunk.

Es gibt laut Maes ein Statement (Stand 2008) vom Ex-Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz Prof. Bernhardt, Mitglied aller Strahlenschutzkommissionen und mitverantwortlich für die Grenzwerte, im Focus: "Ich halte die Grenzwerte für ausreichend. Wir verdächtigen die elektromagnetischen Felder zwar, Krebs zu erzeugen, aber wir kennen den biologischen Mechanismus nicht."

Genau: Es wird nur verdächtigt. Es gibt nicht mal einen fundierten Verdacht, der durch konsistente Studienergebnisse erhärtet wird. Es gibt also nur ein bißchen mulmiges Gefühl. Aber mulmiges Gefühl habe ich auch, wenn ich vor eine großen Zahl Leute sprechen muß: Die Aussagekraft solcher Bauchgefühle ist dementsprechend beschränkt.

Ich hab das Zitat so leider nicht gefunden, ich muss da dem Herrn Maes vertrauen.

Man hat also einen Verdacht, man denkt dass es doch irgendwie gefährlich sein muss...aber machen können wir nichts, wir trauen uns noch nicht...

Wenn ich das nun den Schülern so weitergebe schütteln die verwirrt die Köpfe... was würden sie den Schülern erzählen?

Nicht "man denkt, daß es gefährlich sein muß" - "könnte" ist das Wort. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei der vermuteten Gefahr um gar keine Gefahr handelt, ist mindestens so groß, wie die, daß sich die Befürchtungen bewahrheiten.

O je, jetzt hab ich wieder gelabert... Gute Nacht!

[Hinweis Admin: *** aus Rechtsgründen editiert am 28.07.10]


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