Die Echokammer schlägt zurück: Confirmation Bias? (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 24.07.2024, 00:48 (vor 65 Tagen) @ H. Lamarr

Aus meiner Sicht werden die drei Autoren die Nichterfüllung ihrer Forderungen jedoch gelassen hinnehmen, da sie mit ihrem Kommentar bereits das erreichten, was sie primär angestrebt haben: Zweifel an der Qualität der EHS-Review und an der Integrität der Arbeitsgruppe Röösli wecken.

Original-Textpassage aus der Kritik:

[...] Of even greater concern, three of the six depicted Forest Plots (those for “headaches,” “sleep disturbance” and “non-specific symptoms”) show some primary studies with statistically significant observed associations in the opposite direction to that expected. Such a counterintuitive finding can be confidently attributed to various sorts of study biases, simply because there is no known mechanism by which increased EMF exposure would protect from such symptoms. Rather than pool such conflicting and likely biased results, thereby reducing the overall pooled effect to near or below the null in these very heterogeneous sets of primary studies, it would have been better to treat studies finding such “opposite to expected” directions of association as “inadmissible due to bias,” and exclude them from further consideration (typically, [...]

In der Textpassage oben beklagen die Kritiker, dass drei der sechs dargestellten Forest-Plots (für "Kopfschmerzen", "Schlafstörungen" und "unspezifische Symptome") einige Primärstudien mit statistisch signifikanten beobachteten Assoziationen in die entgegengesetzte Richtung als erwartet zeigen. So ein kontraintuitives Ergebnis könne getrost auf verschiedene Arten von Studienverzerrungen zurückgeführt werden, einfach weil es keinen bekannten Mechanismus gäbe, durch den eine erhöhte EMF-Exposition vor solchen Symptomen schützen würde. Anstatt solche widersprüchlichen und wahrscheinlich verzerrten Ergebnisse zu bündeln und damit den Gesamteffekt in diesen sehr heterogenen Gruppen von Primärstudien auf nahe oder unter den Nullwert zu reduzieren, wäre es aus Sicht der Kritiker besser gewesen, Studien, die solche "entgegengesetzt zu den Erwartungen" verlaufenden Assoziationen fanden, als "unzulässig aufgrund von Verzerrungen" zu behandeln und sie von der weiteren Betrachtung auszuschließen.

Kommentar: Würden alle Wissenschaftler den Vorschlag der drei Kritiker befolgen und unerwartete Studienergebnisse verschwinden lassen, statt sie mitzuteilen, dürfte es z.B. die Naila-Studie und die Interphone-Großstudie in der publizierten Form nicht geben. Denn der Grafik aus der Dokumentation des Naila-Hauptautors Horst Eger ist zu entnehmen, dass im Fernbereich der fraglichen Mobilfunkbasisstation (Abstand > 400 m) die Anzahl der Krebsfälle mit 12 deutlich unter der laut Krebsregister zu erwartenden Anzahl von 23 Fällen liegt. Womit die Naila-Studie gewollt die Botschaft sendet, näher als 400 m zu einer Station verursacht Mobilfunk Krebs, ungewollt jedoch auch die Botschaft, weiter als 400 m zu einer Station schützt Mobilfunk vor Krebs! Hätte Eger das unplausible Studienergebnis fürs Fernfeld einfach weggelassen, die Naila-Studie wäre womöglich ernster genommen worden, als sie es verdient hat.

Grafik aus der Dokumentation des Naila-Hauptautors Horst Eger.
[image]

Ähnlich verhält es sich mit der Interphone-Studie. Auch dort sind Teilergebnisse dokumentiert, die entgegen aller Erwartungen eine Schutzwirkung von Mobilfunk suggerieren. Da niemand eine tatsächliche Schutzwirkung ernsthaft in Erwägung zog, entbrannte um die Erklärungsversuche für die widersprüchlichen Teilergebnisse eine ziemlich heftige wissenschaftliche Debatte, mit dem Ziel, die Fehlerursache in der Studienmethodik ausfindig zu machen und künftig zu vermeiden. Frei nach dem Motto: Das Bessere ist des Guten Feind. Doch dazu konnte es nur kommen, weil die Interphone-Autoren die "kontraintuitiven" Teilresultate nicht unter den Tisch haben fallen lassen.

Der kognitive Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) ist laut Wikipedia die unbewusste Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen. Die drei Kritiker zeigen allerdings eine sehr bewusste Neigung, unplausible Studienergebnisse von der weiteren Betrachtung auszuschließen. Ob sie dies auch bei ihren eigenen Studien so handhaben?

Da ich kein Wissenschaftler bin, kann ich mir vorstellen, dass die oben geschilderte Problematik pauschal weder verdammt noch gutgeheißen werden kann, sondern in jedem Einzelfall kundig geprüft werden muss. Etwas in dieser Richtung erhoffe ich mir von der zu erwartende Reaktion der Arbeitsgruppe Röösli auf die Vorwürfe der drei Kritiker.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Strategie, Nahfeld, Naila, Entwerten, Fernfeld, Erwartung, ICBE-EMF


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