Falsche Schlüsse (109): Panik vor Faxgeräten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 02.09.2018, 21:41 (vor 2296 Tagen) @ H. Lamarr

Vor ein paar Tagen habe ich bei einer älteren Dame aus unserem Bekanntenkreis, nennen wir sie Waltraud, einen Multifunktionsdrucker (Drucker, Scanner, Kopierer, Fax) aufgestellt und eingerichtet. Gleich bei meiner Ankunft zeigte mir Waltraud einen aktuellen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung (eine dpa-Meldung), der davor warnt, PC-Netzwerke, in die ein Multifunktionsdrucker eingebunden sei, könnten von Hackern angegriffen werden. Waltraud war sichtlich besorgt, dies könnte auch ihrer Neuanschaffung passieren. Ich beruhigte sie so gut ich konnte mit dem Hinweis, keiner der bösen Buben hätte es ausgerechnet auf sie abgesehen und selbst wenn, ginge dies nur mit Kenntnis ihrer Faxnummer. Und da diese allein einem kleinen Kreis von Freunden und Verwandten bekannt sei, könne sie unbesorgt sein. Waltraud gab sich mit der Erklärung zufrieden, dachte ich jedenfalls.

Heute abend rief mich Waltraud ziemlich aufgelöst an, ihr Desktop-Rechner funktioniere nicht mehr. Der Bildschirm sei schwarz, in einer Ecke stünde nur "Analog". Und ihr Laptop funktioniere ebenfalls nicht mehr. Nach ein paar weiteren Sätzen kam das, warum ich dieses Posting schreibe: Waltraud fragte besorgt, ob sie sich über ihren neuen Multifunktionsdrucker nicht einen Virus eingefangen habe, so wie es in der Zeitung stand.

Erst jetzt wurde mir klar, welchen unerkannten Schaden die aus meiner Sicht unnötig reißerische dpa-Meldung bei technischen Laien anrichten kann. Der Artikel beschreibt zweifellos eine reale Gefahr, doch er versäumt es, auf das viel relevantere Risiko hinzuweisen. Das Risiko ist die Gefahr multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Gefahr tatsächlich eintritt. Die Gefahr, am Münchener Marienplatz von einem Meteoriten getroffen zu werden lässt sich nicht wegdiskutieren, die ist real. Das Risiko aber, dass dies tatsächlich passiert, ist wegen der verschwindend kleinen Eintrittswahrscheinlichkeit so gut wie Null. Aber: Innovative Firmen, Behörden und Politiker sollten ihre Faxgeräte durchaus absichern, denn bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs im Bereich des Möglichen. Bei Waltraud aber, einer pensionierten Lehrerin, ist die Wahrscheinlichkeit und damit das Risiko eines Angriffs gleich Null. Der Grund, warum die dpa-Meldung bei Waltraud überhaupt diese Tiefenwirkung entfalten konnte ist aus meiner Sicht: Wir sehen uns selbst nicht gerne aus Ursache einer Fehlfunktion und schieben die Verantwortung, wenn möglich, lieber auf andere. Dies kann eine erfolgreiche Fehlersuche erheblich behindern, denn man sucht zunächst an der völlig falschen Stelle.

Selbstverständlich war Waltraud nicht angegriffen worden. Im weiteren Verlauf unseres Telefonats stellte sich heraus, sie hatte am Desktop-PC die USB-Maus ausgetauscht. Dazu musste sie den Rechner von der Wand weg nach vorne ziehen, um an die Anschlüsse ranzukommen. Unbemerkt löste sie dabei die nicht verschraubte Steckverbindung zum PC-Monitor, der nun kein Bildsignal vom PC mehr bekam und ratlos "Analog" anzeigte, um klar zu machen, an welchem Eingang er darauf wartete. Und der Laptop war einfach nur abgestürzt. Nach einem Reset lief er wieder wie geschmiert.

Ohne die Panikmache der dpa-Meldung wäre Waltraud weniger nahe an Rand eines Nervenzusammenbruchs gestanden, denn sie weiß sehr wohl, dass technische Geräte der PC-Industrie gelegentlich unpässlich seien können. Ein geheimer Angriff böswilliger Unbekannter durch die Telefonleitung ist jedoch eine Bedrohung, die Waltraud weder nachvollziehen noch einschätzen kann, die (unbegründete) Angst vor so einem Angriff bereitete ihr Stress.

Im Vergleich zu dem Geschwätz dilettantischer Mobilfunkgegner, die ahnungslose Leute mit Krebs, Hirntumoren, Autismus und mindestens 30 weiteren Gesundheitsgefahren bombardieren, ist die dpa-Meldung noch geradezu seriös. Mobilfunkgegner nehmen billigend inkauf, Menschen wie Waltraud in eine ausweglose Angstfalle zu locken. Ich finde, dies ist beschämend verantwortungslos und ein guter Grund, Mobilfunkgegnern die Wirkung zu nehmen, z.B. indem das IZgMF sie so gut es geht als Schwätzer demaskiert, egal ob sie aus Dummheit handeln, aus Geltungssucht oder aus kommerziellem Interesse.

[03.09.2018: Posting geringfügig stilistisch editiert]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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