Dosimetrieexperte bringt Ärzten Ergebnisse des WHO-Projekts nahe (Allgemein)

Gast, Montag, 01.12.2025, 22:02 (vor 12 Stunden, 36 Minuten)

Zwölf systematische Reviews dokumentieren im Auftrag der WHO die aktuelle Evidenzlage zu gesundheitlichen Risiken von HF-EMF. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der 35. Grazer Fortbildungstage der Ärztekammer Steiermark vorgestellt von Dr. Gernot Schmid, Senior Applied Researcher und Projektleiter im Fachbereich Elektromagnetische Verträglichkeit der Seibersdorf Laboratories. Schmid weiß, wovon er redet, denn der Dosimetrieexperte hat an dem großen WHO-Projekt teilgenommen.

Hochfrequente elektromagnetische Felder (HF-EMF) breiten sich als elektromagnetische Wellen aus und führen durch Absorption zu thermischen Effekten. Diese gezielten Temperaturerhöhungen werden technisch und medizinisch genutzt – etwa in der Magnetresonanztomografie oder bei der Diathermie sowie in Haushaltsgeräten wie dem Mikrowellenherd. Telekommunikationssysteme wie Radio, Fernsehen, Mobilfunk, W-Lan und Bluetooth sind für solche Anwendungen ungeeignet, denn hier wird Information und nicht Energie übertragen.

Bislang war jedoch unklar, ob neben den bekannten thermischen Effekten auch nicht-thermische Wirkungen auftreten, die unterhalb der geltenden Expositionsgrenzwerte gesundheitlich relevant sein könnten. Ende der 1990er-Jahre hat dieses Thema einen regelrechten Forschungsboom ausgelöst. "In Summe gibt es heute mehr als 3'500 Publikationen zu Hochfrequenzfeldern", weiß der Experte, der sich seit 1997 mit den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den menschlichen Körper beschäftigt. Die wissenschaftliche Datenlage ist jedoch seit Beginn inkonsistent, mit zahlreichen untersuchten Endpunkten und unübersichtlichen sowie teilweise widersprüchlichen Ergebnissen.

Iarc-Klassifizierung und Forschungslage

Die International Agency for Research on Cancer (Iarc) stufte HF-Felder im Jahr 2013 als möglicherweise karzinogen für den Menschen ein. "Wichtig ist im Hinterkopf zu behalten, dass die Einstufung nur eine Klassifizierung ist", sagt Schmid. Sie bedeutet lediglich, dass ein Zusammenhang mit Kanzerogenität nicht ausgeschlossen werden kann. "Ob die Einwirkung im Zusammenhang mit Kanzerogenität steht, hat aber nichts mit dem tatsächlichen Risiko in der Praxis zu tun. Für die Bewertung wurden ausschließlich Studien zu Kopftumoren und Mobilfunknutzung gesichtet. "Andere Krebsarten oder HF-Quellen wie Sendestationen waren definitiv keine Grundlage für die Einstufung."

WHO-Review: Evidenz kritisch bewertet

Um der zunehmenden Polarisierung und Fehlinterpretation entgegenzuwirken, initiierte die WHO eine umfassende, objektive und transparente Bewertung der wissenschaftlichen Literatur. Mit insgesamt zwölf systematischen Reviews zu zehn Themenfeldern analysierten unabhängige, international anerkannte Expertenteams die Evidenzlage zu unterschiedlichen Gesundheitsendpunkten bei Menschen und Tieren:

► Tumorentstehung (Neoplasien)
► Reproduktionsstörungen
► Kognitive Beeinträchtigungen
► Psychische und neurologische Symptome
► Oxidativer Stress und zelluläre Signalwege

"Der gemeinsame Nenner all dieser Studien: Wenn Effekte berichtet werden, sind diese durchwegs schwach", fasste Schmid zusammen, der an zwei der systematischen Übersichtsarbeiten mitwirkte. Die Reviews zu Kognition (z.B. Orientierung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis) und zu Symptomen wie Tinnitus, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, multiplen Beschwerden oder die sogenannte Elektrohypersensitivität ergaben keine konsistenten Zusammenhänge mit HF-Expositionen. "Gerade die systemischen Reviews zu den Symptomen zeigen, dass die berichteten Beschwerden nicht mit der Exposition assoziiert sind", so Schmid. "Die Beobachtungsstudien zum Zusammenhang zwischen Handystrahlung, Kopftumoren und ähnlichen Krebsendpunkten zeigen, dass hier wenig bis kein Zusammenhang zu finden ist."

In Tierstudien wurden hingegen vereinzelt Effekte beschrieben. "Von den Autoren wird jedoch eingeräumt, dass die Übertragung der Studienergebnisse auf den Menschen extrem schwierig ist". Auch Biomarker zu oxidativem Stress liefern nur Evidenz von sehr geringer Qualität. "In den meisten Fällen sind die Ergebnisse sehr inkonsistent und nicht nachvollziehbar“, stellt Schmid fest.

Fazit und Ausblick

"Nach wie vor leidet die Studienlage unter Widersprüchlichkeit und einem fehlenden roten Faden", kritisierte der Experte und wies einmal mehr auf die auffällig hohe Rate an qualitativ schlechten und methodisch schwachen Studien hin. Besonders in den Bereichen Reproduktion, Kognition und oxidativer Stress besteht Bedarf an hochwertigen Untersuchungen, bevor belastbare Schlussfolgerungen gezogen werden können. "Momentan ist mit den neuen systematischen Reviews eine Basis für die Bewertung geschaffen worden. Die finale Conclusio aus diesen Reviews wird die WHO in den nächsten ein bis zwei Jahren veröffentlichen".

Hintergrund: Videoaufzeichnung von Schmids Vortrag anlässlich der Grazer Fortbildungstage

Quelle: Pressemitteilung des Forum Mobilkommunikation (FMK), Österreich

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