BAG-Faktenblatt W-Lan: Eine Null zu viel in Schwarzenburg (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 10.04.2022, 23:27 (vor 719 Tagen)

In seinem jüngsten Beitrag glaubt Gigaherz-Präsident Jakob, er könne dem Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Leviten lesen. Doch auch dieses Vorhaben ist ihm gründlich misslungen. Warum diesmal? Aus denselben Gründen wie immer: Ein Ex-Elektriker im Ruhestand sollte von Dingen, von denen er nichts versteht, besser die Finger lassen, auch wenn er von seinen herausragenden Fähigkeiten noch so überzeugt ist.

Das W-Lan-Faktenblatt des BAG gibt es hier (PDF, 13 Seiten), die Kritik von Hans-U. Jakob an dem Papier dort.

Ich habe mir erlaubt, aus Jakobs Beitrag die schrägsten Textpassagen herauszupicken, die Prachtstücke im Zitatformat des Forums unten in absteigender Reihenfolge einzufügen und zu kommentieren. Klar Schiff zum Gefecht? Gut, dann los ...

Am 21.Dezember 2021 gab unser Bundesamt für Gesundheit ein Faktenblatt für WLAN heraus, welches es in sich hat. Eine Schweizer Studie zeige, dass WLAN-Strahlung im Mittel rund 1500mal kleiner als der Grenzwert sei. Und, Zitat: Die höchsten gemessenen Strahlungswerte sind rund 400mal kleiner als der Grenzwert. Ende Zitat.
[...]
Dem blutigen Laien mag das einleuchten, doch der Fachmann wundert sich erst einmal ob so viel Unverfrorenheit. Denn da hätte ganz gross stehen müssen, welche Grenzwerte denn da gemeint sind!

Soso, hätte da also "ganz groß" stehen müssen. Aber: Wer im Glashaus sitzt und sich für einen Fachmann hält, sollte nicht mit Steinen werfen.

Gigaherz-Jakob weiß also, wie jetzt auch wir wissen, dass es in der Schweiz einen Anlagegrenzwert gibt (Vorsorgewert) und einen Immissionsgrenzwert (Gefährdungswert). Listigerweise befällt den Gigaherz-Präsidenten jedoch grundsätzlich immer dann partielle Amnesie, wenn das Differenzieren zwischen den beiden Grenzwerten ihn beim Irreführen der Bevölkerung in die Quere kommen könnte. Dann redet er nebulös von "Grenzwerten", in der Hoffnung, seine Zuhörer/Leser entscheiden sich für die falsche von den beiden Möglichkeiten. Das praktiziert er nun schon seit rd. 20 Jahren und wer's nicht glauben mag, der findet hier ein Beispiel, das stellvertretend für hunderte ähnliche Jakob-Nebelkerzen steht.

Der Immissionsgrenzwert oder der Anlage-Grenzwert nach NISV? Oder am Ende etwa noch der SAR-Wert? Ein SAR-Wert welcher lediglich den Wärmeeintrag in Watt pro kg Körpergewicht in den Körper berücksichtigt und für uns kein Thema ist, weil wir Mobilfunkstrahlung nicht mit dem Fieberthermometer messen, sondern mit dem Strahlungsmessgerät.

Der Gigaherz-Präsident misst also Funkfelder mit einem "Geigerzähler". Das erklärt so einiges :-).

Welche Grenzwertregelung im Eingangstext gemeint ist, geht auch aus den nachfolgenden 10 Seiten, in welchen die verschiedenste Arten von Grenzwerten vorgestellt werden, nicht hervor. Erst im Schlusskapitel 5, «Rechtliche Regelung» wird auf die Empfehlungen des europäischen Rates vom 12. Juli 1999 zur Begrenzung der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen Feldern von 0Hz bis 300GHz, Bezug genommen.

Das stimmt nicht. In Kapitel 3 heißt es auf Seite 7 klipp & klar:

Die Grenzwertempfehlung für elektrische Felder im Frequenzbereich der WLAN-Geräte liegt bei 61 V/m (Volt pro Meter).

Hingegen müssen Hotspots die weniger strickten Immissionsgrenzwerte der NISV einhalten, falls der ganze menschliche Körper mit der Strahlung exponiert ist.

Und schon wieder eine Zitatverfälschung durch Jakob (strickt statt strikt). Es ist nicht zu glauben, er tippt sogar Texte aus ungeschützten PDFs ab, anstatt diese einfach mit Copy-Paste zu übernehmen.

Also, nach Juristenlogik statt gesundem Menschenverstand, müssten WLAN Hotspots nur noch den Immissionsgrenzwert von 61V/m einhalten. Dies weil die Sendeleistung weniger als 6Watt ERP betrage. Das mag wohl für Sendeantennen auf einem Sendemast oder auf einem Hausdach zutreffen, da wo die Entfernung zum betroffenen Menschen sowieso über 10m ausmacht. Beim WLAN reden wir jedoch von cm und nicht von m. Der gesunde Menschenverstand der BAG-Juristen reicht offensichtlich auch nicht über die 10cm hinaus. Denn der Grenzwert von 61V/m gelte dann nur für die öffentlich zugänglichen Access-Points. Private, die nur per Passwort benutzt werden können, die Öffentlichkeit (Nachbarn) aber genau gleich belasten, jedoch nicht.

Was will uns Gigaherz-Jakob mit dem verworrenen Text sagen? Dass für öffentliche Hotspots der Immissionsgrenzwert gilt, für private W-Lans aber nicht? Und wenn es so ist, welcher Grenzwert gilt dann für private W-Lans? Zugegeben, auch der Originaltext des BAG (Seite 11) ist mMn nicht der Weisheit letzter Schluss, da er mit begrenztem Textverständnis ausgestattete Menschen überfordert, wie Jakobs verkorkste Interpretation zeigt. Dabei isses nicht so schwierig: Für W-Lan, egal ob öffentlich oder privat betrieben, gelten wegen der limitierten Strahlungsleistung (z.B. 100 mW für das gängige 2,4-GHz-W-Lan) die Immissionsgrenzwerte, die, wie die Grafiken auf Seite 7 des Faktenblatts zeigen, auch in geringem Abstand nicht erreicht werden. Jakobs alarmierender Hinweis auf "belastete" Wohnungsnachbarn ist daher nur eines: unqualifiziertes Unken eines Zündholzgegners.

Für uns ist für die Beurteilung von WLAN-Strahlung diskussionslos der Anlage-Grenzwert von 6V/m, welcher bereits als Gefärdungswert auf hoher Stufe zu betrachten ist, für die weitere Beurteilung von Bedeutung.

Methode Pippi L.: Ich mach mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt. Auch "Baubiologen" erfinden gerne ihre eigenen niedrigen "Grenzwerte" (Richtwerte), damit das Geschäft mit der Angst vor Elektrosmog auf Touren kommt. Wenn jetzt ein selbstgewisser Ex-Elektriker kraft seiner Überzeugung, den Anlagegrenzwert und nicht den Immissionsgrenzwert für maßgebend hält, ist das – nunja vielleicht nett, interessiert aber niemanden, der etwas zu sagen hat. Wäre ja noch schöner, wenn jeder langstrümpfige selbsternannte Experte in Grenzwertfragen mitreden dürfte. Eine narrative Review über oxidativen Stress, den inzwischen sogar der Gigaherz-Präsiden richtig schreiben kann :-), ist aus Sicht der deutschen Strahlenschutzkommission jedenfalls nicht für eine Risikobewertung relevant. Da in der SSK Wissenschaftler und keine über 80-jährige Ex-Elektriker vertreten sind, halte ich deren Einschätzung für kompetenter als die Fieberträume des Gigaherz-Präsidenten.

Und dieser Anlage Grenzwert von 6V/m ist gemäss obiger Grafik, die uns das BAG in seinem Faktenblatt vom 21.Dezember 2021freundlicherweise gleich selber zur Verfügung stellt [siehe verlinktes PDF, Seite 7], im Abstand von 100cm, das heisst in Gebrauchsdistanz weder 400mal noch 1500mal kleiner ist als 6V/m, sondern bestenfalls lediglich 4mal kleiner, als die behaupteten 400mal.
Das BAG arbeitet also nach unserem Ermessen mit 2 Nullen zu viel.

Hat Jakob eingangs noch mit messerscharfem Verstand erkannt, dass die Bezugsgröße zur Bewertung von W-Lan-Immission der Immissionsgrenzwert ist, rechnet er sich jetzt hopplahopp die willkürlich aus einer Grafik herausgefischten Immissionswerte mit dem Anlagegrenzwert gefährlich groß. Dass die Grafik höchstwahrscheinlich keinerlei Sachzusammenhang zu den Grenzwertunterschreitungen der besagten "Schweizer Studie" hat, stört Jakob offenbar nicht. Was soll man dazu noch sagen? Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.

Der Originaltext des BAG lautet:

Mehrere Studien zeigen, dass die auf Kinder und Erwachsene einwirkende Strahlung durch WLAN-Geräte im Alltag klein ist. Eine Schweizer Studie zeigt, dass sie im Mittel rund 1500-mal kleiner als der Grenzwert ist. Die höchsten gemessenen Strahlungswerte sind rund 400-mal kleiner als der Grenzwert.

Wenn man dem BAG etwas ankreiden will, dann den fehlenden Quellenhinweis zu der "Schweizer Studie". Mutmaßlich handelt es sich dabei um diese Studie (Röösli et al., 2016, im Literaturverzeichnis des BAG-Faktenblatts Quelle [12]).

Fazit: Es bleibt zum x-ten Mal bei der bedauerlichen Erkenntnis, das Personal der Anti-Mobilfunk-Szene ist deren größtes Problem.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Meinung, Rentner, Schweiz, Autodidakt, WLan, Faktenblatt, Anlagegrenzwert, narrative Reviews, BAG

Safer-Phone-Initiative: Anlage- oder Immissionsgrenzwert?

H. Lamarr @, München, Freitag, 15.04.2022, 16:23 (vor 714 Tagen) @ H. Lamarr

Gigaherz-Jakob weiß also, wie jetzt auch wir wissen, dass es in der Schweiz einen Anlagegrenzwert gibt (Vorsorgewert) und einen Immissionsgrenzwert (Gefährdungswert). Listigerweise befällt den Gigaherz-Präsidenten jedoch grundsätzlich immer dann partielle Amnesie, wenn das Differenzieren zwischen den beiden Grenzwerten ihn beim Irreführen der Bevölkerung in die Quere kommen könnte. Dann redet er nebulös von "Grenzwerten", in der Hoffnung, seine Zuhörer/Leser entscheiden sich für die falsche von den beiden Möglichkeiten.

Das Spielchen mit dem irreführenden Nebelbegriff "Grenzwert" spielen nahezu alle Schweizer Mobilfunkgegner. Auch die "Safer-Phone-Initiative" spielt mit, sie nutzt die günstige Gelegenheit auch, "Erfahrungen der Baubiologie" in ein günstiges Licht zu stellen:

Für eine gefahrlose Strahlenexposition existieren Richtwerte, die 100­ bis 1000mal tiefer angesetzt sind (in Volt pro Meter) als die aktuellen Schweizer Grenzwerte. Hinter diesen Richtwerten stehen sowohl die unabhängige Wissenschaft wie auch die praktischen Erfahrungen der Baubiologie aus mehr als zwei Jahrzehnten.

Was Wunder, ist doch Peter Schlegel, starker Mann hinter der Initiative, trotz seiner 80 Jahre noch immer als Baubiologe auf Achse.

Und, was ist diesmal mit "Grenzwert" gemeint, Anlage- oder Immissionsgrenzwert? Man muss sich nur das Interesse der Baubiologie an möglichst eindrucksvoll hohen Reduzierungsfaktoren vor Augen halten, um auf die richtige Antwort zu kommen: Na klar, diesmal sind die Immissionsgrenzwerte gemeint!

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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