Wie steht es eigentlich um die HF-EMF-Neubewertung durch IARC? (Forschung)

H. Lamarr @, München, Montag, 12.04.2021, 23:51 (vor 1082 Tagen)

Vor rd. zwei Jahren hat eine von IARC einberufene Beratergruppe mit hoher Priorität empfohlen, das Krebsrisiko von HF-EMF in der zweiten Hälfte des 5-Jahre-Zeitraums bis 2024 neu zu bewerten. Nach diesem Paukenschlag kehrte Stille ein. Doch was ist denn nun, folgt IARC der Empfehlung oder bleibt bis auf Weiteres alles beim Alten, also bei der 2B-Eingruppierung? Das fragte ich heute per E-Mail Joachim Schüz, Leiter der IARC-Sektion Umwelt und Strahlung in Lyon, Frankreich.

Schüz antwortete, die IARC wolle der Empfehlung der Beratergruppe folgen. Allerdings umfasse deren Prioritätenliste mehr, als IARC innerhalb des Fünfjahreszeitraums abarbeiten könne. Deshalb spielten bei der finalen Entscheidung, ob es eine neue Monographie über das Krebsrisiko von HF-EMF geben werde, noch weitere Kriterien eine Rolle. Insbesondere, dass man zeitnah nochmals prüfe, wie viele neue Daten tatsächlich für eine Neubewertung vorliegen. Momentan sei IARC bei der Umsetzung der Empfehlungen der Beratergruppe (Planung neuer Monographien) im Juni 2022 angekommen, was IARC auf dieser Webseite dokumentiere. Für detaillierte Auskünfte verwies Schüz auf die IARC-Arbeitsgruppe, die für die Monographien verantwortlich ist.

Das von mir gefundene neue HF-EMF-Forschungsprojekt der Krebsagentur falle hingegen in den Zuständigkeitsbereich seiner Abteilung (ENV = Environment and Radiation Section, jetzt neu Environment and Lifestyle Epidemiology Branch). Dieses Projekt sei jedoch unabhängig von den Monographien. Die derzeit in Lyon koordinierten beiden HF-EMF-Forschungsprojekte seien a) der französische Arm der Cosmos-Studie und b) das vom Bundesamt für Strahlenschutz geförderte GliMoRi-Projekt, das die Hirntumor-Inzidenzraten der nordischen Ländern neu evaluiere (Update der Arbeit von Deltour et al., Epidemiology, 2012).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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IARC, Epidemiologie, Schüz, Hirntumor, Gliom, Monographie, Deltour, GliMoRi-Projekt, Inszidenzrate

IARC bezieht 2B-Eingruppierung auch auf Schnurlostelefone

H. Lamarr @, München, Montag, 31.05.2021, 14:11 (vor 1033 Tagen) @ H. Lamarr

Nach der 2B-Eingruppierung von HF-EMF 2011 durch die IARC (möglicherweise krebserregend) entbrannte eine lange andauernde Diskussion, auf welche HF-Felder genau sich die diesbezüglich vage Eingruppierung bezieht. Mobilfunkgegner bezogen sie auf die dauerhafte aber schwache Exposition durch Funkmasten, andere bezogen sie auf die starke aber kurzzeitige Exposition durch Mobiltelefone. Bis heute hat die IARC nicht eindeutig dazu Stellung bezogen, wenngleich die übergeordnete WHO sich 2013 ziemlich klar gegen ein Krebsrisiko (und andere Gesundheitsschäden) durch die Exposition von Funkmasten aussprach.

Die IARC eiert in dieser Frage noch immer herum, wie deren zuletzt im März 2021 aktualisierte Klassifizierungsliste der Krebsverursacher mit ausreichender und begrenzter Evidenz zeigt. Für Tumoren des Hirns und Nervensystems nennt die Liste Röntgen- und Gammstrahlen als Krebsverursacher mit ausreichender Evidenz, elektromagnetische Felder (einschließlich Schnurlostelefone) als Krebsverursacher mit begrenzter Evidenz. Im Original lautet die Passage:

Radiofrequency electromagnetic fields (including from wireless phones)

Die explizite Benennung von "wireless Phones" geht in Richtung schwächerer Befeldung, also in Richtung Funkmasten. Denn wireless Phones sind keine Mobiltelefone (dies wären mobile Phones oder cell Phones) mit hoher Sendeleistung (maximal 2 W im GSM900-Modus), sondern Schnurlostelefone (DECT) mit maximal 250 mW Sendeleistung. DECTelefone zeigen üblicherweise Teilköper-SAR-Werte unter 0,1 W/kg, wogegen für Mobiltelefone maximal 2 W/kg zulässig sind und es vereinzelt auch zu Überschreitungen dieses Werts kommen kann.

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IARC: Mobilfunkgegner streben Eingruppierung 2A oder 1 an

H. Lamarr @, München, Montag, 31.05.2021, 14:40 (vor 1033 Tagen) @ H. Lamarr

Organisierte Mobilfunkgegner aus der Wissenschaft zeigen sich optimistisch, dass die IARC bis spätestens 2024 HF-EMF von der derzeitigen Eingruppierung 2B (möglicherweise krebserregend) auf wenigstens 2A hochstuft (wahrscheinlich krebserregend), wenn nicht sogar auf 1 (krebserregend für Menschen).

Woher diese Zuversicht angesichts einer nach wie vor widersprüchlichen Faktenlage? Vielleicht wegen dieses Formulars der IARC. Die Krebsagentur der WHO ermöglicht es damit jedermann, vom blutigen Laien bis zum anerkannten Wissenschaftler, verdächtige Substanzen der IARC zur genaueren Betrachtung zu melden. Erfahrungsgemäß sind solche Formulare für organisierte Mobilfunkgegner (Laien) ein gefundenes Fressen, mit Masse statt Klasse mehr oder weniger ernst zu nehmenden Druck aufzubauen. Einziger Haken: Zum Formular gehört auch die Deklaration von Interessenkonflikten, womit diverse laute Mobilfunkgegner per se aus dem Rennen sind.

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Verwaltungsrat der IARC stimmt weiterer EMF-Forschung zu

H. Lamarr @, München, Freitag, 11.06.2021, 00:04 (vor 1023 Tagen) @ H. Lamarr

Der Verwaltungsrat der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) hat auf seiner dreiundsechzigsten Sitzung am 17. und 18. Mai 2021 die mittelfristige Strategie der IARC für den Zeitraum 2021-2025 verabschiedet. Diese zielt darauf ab, die IARC als führende globale Krebsbehörde zu positionieren, die wissenschaftliche Kompetenz und verbessertes Wissen über Krebsprävention fördert.

Unter den sieben wichtigsten Ansätzen/Aktivitätsbereichen in den nächsten fünf Jahren befinden sich auch HF-EMF und NF-EMF (Punkt 5). Dazu heißt es vonseiten der IARC in einer 47-seitigen Präsentation der mittelfristigen Strategie:

Ob die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern (EMF) mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten verbunden ist, wird weiterhin untersucht werden. In Anbetracht des Fachwissens und der Kapazitäten der IARC auf diesem Gebiet wird die Forschung durch die Beteiligung an langfristigen prospektiven Studien an Nutzern von Mobiltelefonen und anderen drahtlosen Techniken fortgesetzt. Die Forschungsarbeiten zur Exposition gegenüber niederfrequenten Magnetfeldern und deren Zusammenhang mit Leukämie bei Kindern werden ebenfalls fortgesetzt.

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Munkeln und Raunen zur 2B-Einstufung laut Louis Slesin

Alexander Lerchl @, Samstag, 12.06.2021, 07:51 (vor 1021 Tagen) @ H. Lamarr

Gestern erhielt ich eine E-Mail von Louis Slesin, Herausgeber von Microwave News, mit folgendem Inhalt (übersetzt):

"IARC zu RF: Was kommt als nächstes?
Agentur stellt Basis für "mögliche" Krebsrisiko-Einstufung in Frage
________________________________________
Eine neue Analyse der Strahlungsgruppe der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) stellt die eigene Einstufung der Agentur von drahtloser Strahlung als mögliches Karzinogen für den Menschen in Frage.
Am 27. Mai präsentierte Isabelle Deltour von der IARC die neue Analyse der Häufigkeit von bösartigen Hirntumoren (Gliomen) in den nordischen Ländern - Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden - über die letzten Jahrzehnte. Deltour argumentierte, dass die Trends größtenteils nicht "kompatibel" mit denen sind, die in den epidemiologischen Studien - vor allem von Interphone und Leonard Hardell - gesehen wurden, die die Grundlage für die Einstufung von HF-Strahlung als 2B-Karzinogen für den Menschen durch die IARC im Jahr 2011 waren.

Deltour sprach bei einem Online-Kolloquium, das vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) veranstaltet wurde. Es war eine reine Einladungsveranstaltung, aber Microwave News hat die Geschichte."

Kommentar 1: endlich scheint sich die Erkenntnis bei der IARC durchzusetzen, dass sie mit ihrer 2B-Einstufung völlig daneben lagen.

Kommentar 2: vielleicht liegt das auch daran, dass man dort Kenntnis von Hardells Vorgeschichte genommen hat.

Kommentar 3: Es muss Lennart, nicht Leonard heißen.

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

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BfS: Vortrag von Isabelle Deltour am 27. Mai 2021

H. Lamarr @, München, Samstag, 12.06.2021, 10:33 (vor 1021 Tagen) @ Alexander Lerchl

Deltour sprach bei einem Online-Kolloquium, das vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) veranstaltet wurde. Es war eine reine Einladungsveranstaltung, aber Microwave News hat die Geschichte."

Das liest sich so, als ob nur ein ausgewählter Kreis von Eingeweihten den Worten Isabelle Deltours lauschen durfte. Dies trifft jedoch nicht zu. Für das 1-stündige Kolloquium am 27. Mai 2021 hatten das BfS bzw. das BMU öffentlich auf ihren Websites eingeladen, nur so war es möglich, dass z.B. auch Vertreter von Diagnose-Funk daran teilnahmen. Da zurückliegende Veranstaltungen auf der BfS-Website nicht mehr abrufbar sind, hier der Originaltext der Einladung, der auch den für überzeugte Mobilfunkgegner enttäuschenden Abstract des Deltour-Vortrags enthält:

Die International Agency for Research on Cancer (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat hochfrequente elektromagnetische Felder als möglicherweise krebserregend für Menschen klassifiziert, vor allem aufgrund von Einzelhinweisen aus epidemiologischen Studien zu Mobiltelefon-Nutzung und einem erhöhten Gliom-Risiko. Aufgrund der starken Zunahme der Mobiltelefonnutzung von nur wenigen Personen in den 1980ern zu fast vollzähliger Versorgung mit Mobilfunk heute, sollten solche erhöhten Risiken – wenn tatsächlich vorhanden - zu einem Anstieg der Inzidenz an Gliomen führen. Die Ergebnisse einer entsprechenden Studie, die die Konsistenz der Ergebnisse dieser epidemiologischen Studien mit der tatsächlich beobachteten Inzidenz des Glioms in den nordischen Ländern überprüft, werden von Frau Dr. Isabelle Deltour (IARC/WHO) vorgestellt.
Bei Interesse an diesem Vortrag bitten wir um eine E-Mail-Anfrage an kolloquium@bfs.de. Der Link zum Vortrag wird Ihnen dann per E-Mail mitgeteilt

Epidemiologische Studien zur Fragestellung, ob Mobiltelefon-Nutzung zu einem erhöhten Gliom-Risiko führen, sind nicht konsistent. Während Kohortenstudien keinen Zusammenhang zeigten, berichteten einige – aber nicht alle – Studien mit Fallkontroll-Design von teilweise erhöhten Risiken. Da es sich bei Mobiltelefon-Nutzung um eine inzwischen sehr weit verbreitete Exposition handelt, müssten sich selbst unter der Annahme längerer Latenzzeiten zwischen Exposition und Erkrankung erhöhte Risiken auf die Inzidenzraten der Erkrankung auswirken. Das Krebsgeschehen ist in den nordischen Ländern (Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden) am besten dokumentiert, so dass deren Inzidenzraten für Gliome unter Männern im Alter 40-69 Jahre von 1979 bis heute für unsere Untersuchung herangezogen wurden.

Die in den nordischen Ländern beobachteten Inzidenzraten des Glioms zeigen keine Hinweise auf ein mit Mobiltelefon-Nutzung assoziiertes erhöhtes Gliomrisiko. Die in früheren Fallkontrollstudien beobachteten erhöhten Risiken sind entweder auf methodische Probleme der Studien zurückzuführen (Risiko für alle Nutzer) oder unwahrscheinlich (Risiko für sehr häufige Nutzer). Die Inzidenzraten sind kompatibel mit den Ergebnissen der Kohortenstudien, die keine Risikoerhöhung sehen. Sehr kleine Risiken oder Risiken, die nur kleine Untergruppen der Bevölkerung betreffen, sind mit diesem ökologischen Studienansatz jedoch nicht auszuschließen.

Frau Dr. Deltour stellt die Ergebnisse der Studie "Gliom-Inzidenz in den nordischen Ländern unter dem Gesichtspunkt möglicher Mobiltelefon-assoziierter Risiken" vor und geht auf die Zusammenhänge zwischen Gliom-Inzidenz und Mobilfunknutzung ein.

Hintergrund
Mobile Phone Use and Incidence of Glioma in the Nordic Countries 1979–2008 (2012)

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Echokammern, oder "viele" fordern EMF-Hochstufung auf 2A oder 1

H. Lamarr @, München, Samstag, 12.06.2021, 13:46 (vor 1021 Tagen) @ H. Lamarr

Die Meldung von Louis Slesin gibt es hier zu lesen.

Im Vergleich zu anderen Mobilfunkkritikern ist Slesin zwar in aller Regel ein Musterbeispiel an Objektivität, ohne tendenziöse Vokabeln aber kommt auch er nicht aus. So behauptet er in seiner Meldung:

[...] Das [Deltour-]Papier kommt zu einem Zeitpunkt, an dem viele die IARC auffordern, das EMF-Krebsrisiko auf ein wahrscheinliches Karzinogen (Klasse 2A) oder ein nachgewiesenes Karzinogen (Klasse 1) hochzustufen. [...]

Beipflichten kann ich dem nicht, denn meiner Einschätzung nach sind die Vielen lediglich eine Handvoll (vielleicht ein Dutzend) der schätzungsweise weltweit 1000 Wissenschaftler, die sich mit Bioelektromagnetik beschäftigen. Darunter sind eingeschworene Kritiker wie Lennart Hardell und Mitglieder der "BioInitiative", die sich schon seit Jahren systematisch an der ihrer Ansicht nach zu Laschen 2B-Wertung der IARC stoßen und das Thema regelmäßig neu in die Diskussion einschleusen. In jüngster Zeit sind zu diesen Gewohnheitskritikern allerdings drei oder vier Quereinsteiger hinzu gestoßen, darunter auch klangvolle Namen. Deren Manko ist: Es sind aus dem aktiven Berufsleben ausgeschiedene Wissenschaftler, die selbst nicht mehr forschen, sondern den vorhandenen Datenbestand aus ihrer Sicht kommentieren.

Da Wissenschaft von der Kontroverse lebt, sind unterschiedliche Deutungen ein und desselben Datenbestands in der Community ein normaler Vorgang guter wissenschaftlicher Praxis und im Grunde genommen nicht der Rede werter Alltag.

In der Mobilfunkdebatte aber kommt exklusiv noch der Aspekt der von Laien betriebenen Echokammern hinzu. Viele Anti-Mobilfunk-Vereine verstärken einseitig das wissenschaftliche Munkeln und Raunen über EMF-Risiken. Sie versuchen, obwohl fachlich dafür ungeeignet, auf diese Weise die öffentliche Meinung zurecht zu kneten und "Druck von unten" aufzubauen. Allein schon wegen der einseitigen Betonung eines möglichen Risikos entsteht so ein Wust an Desinformation. Maßgeblicher Treiber dafür ist hierzulande der Stuttgarter Verein Diagnose-Funk. Dort kennt man z.B. die jüngsten (eher entwarnenden) Ergebnisse von Isabelle Deltour seit 27. Mai 2021, berichtet jedoch bis heute nicht darüber. Möglicherweise bastelt der Verein noch daran, die Arbeit von Deltour mit vielen Worten und wenig Substanz klein zu reden.

Die Echokammern selbsternannter EMF-Experten wären nur ein lästiges Übel in der Mobilfunkdebatte, würden nicht einige der mobilfunkkritischen Wissenschaftler, z.B. Lennart Hardell, die Echokammern und Filterblasen laienhafter Mobilfunkgegner für ihre Zwecke beliefern (Beispiel). Sie überschreiten damit aus meiner Sicht die Grenze zur Manipulation der öffentlichen Meinung.

Ex-Tabaklobbyist Franz Adlkofer praktizierte diese Unsitte bereits 2003. Zu einer der ersten öffentlichen Präsentationen der alarmierenden Ergebnisse seines "Reflex"-Projekts brachte er zur wissenschaftlichen BEMS-Tagung auf Hawaii gleich ein Fernsehteam des SWR mit, das postwendend mit der Sendung "Bei Anruf Smog" die Bevölkerung aufschreckte. Die wissenschaftliche Publikation der berühmt-berüchtigten Wiener-HF-Studie des "Reflex"-Projekts folgte erst zwei Jahre später und geriet 2008 (gemeinsam mit einer "Reflex"-Nachfolgestudie Adlkofers) unter Fälschungsverdacht.

Dieser Verdacht konnte zwar vor Gericht nicht hinreichend belegt werden, begründete Zweifel an der Einhaltung guter wissenschaftlicher Praktiken aber ließen sich bis heute nicht ausräumen. Organisierte Mobilfunkgegner ignorieren diese Zweifel konsequent, sie feiern die fragwürdigen Studien des "Reflex"-Projekts nach wie vor als Meilensteine der EMF-Forschung – obwohl auch sämtliche Versuche, die alarmierenden Studienergebnisse zu replizieren, ausnahmslos scheiterten.

Zweifel säen ist unser Ziel. Mit dieser einfachen Desinformationsmethode gelang der Tabakindustrie lange die Verharmlosung der Risiken des Passivrauchens. In der Mobilfunkdebatte funktioniert dieselbe Methode mit umgekehrten Vorzeichen (Alarmieren). Nutznießer wäre abermals die Tabakindustrie, die mit Helfern aus der Wissenschaft z.B. auch von der Corona-Pandemie profitierte. Eindeutige Belege, dass Big Tobacco mit Ablenkungsforschung das "Risiko EMF" gezielt ins Bewusstsein der Bevölkerung manipuliert, gibt es bislang jedoch nicht.

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Belpoggi: Kann eine Mobilfunkgegnerin noch ergebnisoffen sein?

H. Lamarr @, München, Sonntag, 13.06.2021, 14:28 (vor 1020 Tagen) @ H. Lamarr

Beipflichten kann ich dem nicht, denn meiner Einschätzung nach sind die Vielen lediglich eine Handvoll (vielleicht ein Dutzend) der schätzungsweise weltweit 1000 Wissenschaftler, die sich mit Bioelektromagnetik beschäftigen. Darunter sind eingeschworene Kritiker wie Lennart Hardell und Mitglieder der "BioInitiative", die sich schon seit Jahren systematisch an der ihrer Ansicht nach zu Laschen 2B-Wertung der IARC stoßen und das Thema regelmäßig neu in die Diskussion einschleusen.

Unter den wissenschaftlichen Gewohnheitskritikern befindet sich die Italienerin Fiorella Belpoggi, wissenschaftliche Leiterin des Instituto Ramazzini in Bologna.

Belpoggi hat sich zwischen 2002 und 2016 an fünf von sechs Wissenschaftlerappellen gegen Mobilfunk beteiligt und damit ihre kritische Einstellung zum "Risiko Mobilfunk" zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Belpoggi 2018 bekannt, als das Ramazzini-Institut eine große alarmierende EMF-Rattenstudie publizierte.

Was mich umtreibt ist die Frage: Wie ergebnisoffen kann eine einflussreiche Wissenschaftlerin noch sein, wenn sie sich zuvor ohne Wenn und Aber auf die Seite der Mobilfunkkritiker geschlagen hat? In ihrer Position am Institut hat Belpoggi alle Möglichkeiten, auf Studiendesigns und -auswertungen Einfluss zu nehmen, um das Ergebnis zu bekommen, das zu ihrer Einstellung passt. Womit ich nicht sagen will, dass Belpoggi bewusst Einfluss genommen hat, sondern möglicherweise unbewusst. Dies könnte z.B. schon dadurch passiert sein, dass das Laborpersonal in Bologna unbewusst die bekannte Erwartungshaltung der Chefin erfüllen wollte. Nicht umsonst gelten schließlich in der Wissenschaft Blindstudien als der Goldstandard, damit die persönliche Überzeugung von Forschern zum Gegenstand ihrer Untersuchung bei der Auswertung der Ergebnisse nicht unbewusst zu einer Verfälschung führt.

Auf meine Frage werde ich keine klare Antwort bekommen, denn Belpoggi wird selbstverständlich jegliche Einflussnahme weit von sich weisen, der Verdacht aber bleibt, dass sie um ein paar Ecken herum vielleicht doch Einfluss genommen haben könnte, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Die Problematik, die ich hier andeuten möchte ist nicht auf die Italienerin begrenzt, sie betrifft alle Wissenschaftler, deren Studienergebnisse wegen ihrer Vorgeschichte vorhersehbar sind. Ein typisches Beispiel ist Lennart Hardell. Er findet in jeder Suppe ein Haar. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Schwede jemals eine EMF-Studie vorgelegt hat, die für EMF entlastend ist. Vermutlich liegt dies daran, dass Hardell sich aus dem großen Topf der Studienthemen stets welche heraussucht, die seiner Erwartungshaltung entgegen kommen. Doch damit sind Hardells Studienergebnisse berechenbar, was für Wissenschaftler das Gegenteil von einem Kompliment ist. Dass es auch anders geht hat Alexander Lerchl gezeigt. Der Bremer, für organisierte Mobilfunkgegner jahrelang eine Hassfigur, stürzte seine Kritiker in tiefe Verwirrung, als er 2015 und 2017 mit Studien eine tumorbegünstigende Wirkung von EMF belegte. Urplötzlich passte Lerchl nicht mehr in den ihm zugewiesenen Schubladen der "mobilfunkfreundlichen Wissenschaftler". Er zwang und zwingt damit die Anti-Mobilfunk-Szene zu grotesken Verrenkungen, denn die muss immer wieder neu den schmerzhaften Spagat zwischen der Hassfigur und deren alarmierenden Studien bewältigen.

Nun ist aber auch anzumerken: Die Freund-Feind-Stigmatisierung von Wissenschaftlern ist eine wacklige Angelegenheit, weil sie sich häufig weniger auf Fakten stützt und mehr auf Zuneigung/Abneigung. In der Szene der Mobilfunkgegner hat die Stigmatisierung dennoch große Bedeutung, denn dort entscheiden wenige Anführer für viele Mitläufer, wer als Freund zu sehen ist und wer als Feind. Ziel ist immer die Aufwertung/Abwertung von Personen. Das ist einfach und bequem, entbindet es einen doch von der schwierigen Sachauseinandersetzung mit dem Tun der Personen.

Noch ein Sprung zurück zu den mobilfunkkritischen Wissenschaftlern, die auffällig häufig in den USA und in Italien anzutreffen sind.

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Wieso ausgerechnet in Italien? Eine Erklärung bietet das Eurobarometer 2010, demzufolge in der EU die Italiener das Volk sind, das sich mit deutlichem Abstand am meisten Sorgen über das "Risiko Mobilfunk" macht. Unklar ist, woher diese Angst der Italiener stammt. Mein Verdacht: Auch in der Schweiz sind in der Bevölkerung irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog ungewöhnlich stark. Gemeinsamer Nenner: Italien und die Schweiz haben vor etwa 20 Jahren strenge Vorsorgewerte eingeführt. Dies könnte in der Bevölkerung einen Bumerang-Effekt bewirken, der da lautet: Da Vorsorge gegenüber harmlosen Einflussgrößen unnötig ist, muss mit EMF ein nennenswertes Risiko verbunden sein, wenn sogar die Staatsgewalt Vorsorge für nötig hält. Doch statt die Bevölkerung mit den Vorsorgewerten von Ängsten gegenüber Funkwellen zu erlösen, wird das glatte Gegenteil erreicht. Die Bevölkerung wird überhaupt erst auf das Thema aufmerksam gemacht, sie stellt das Maß der Vorsorge infrage und einige selbsternannte Experten nutzen die Gunst der Stunde, die Zweifel in der Bevölkerung zu ihrem persönlichen Vorteil unablässig zu befeuern. Aus dieser Sicht heraus haben Italien und die Schweiz vor 20 Jahren den Grundstein für ihre Probleme mit Elektrosmog in guter Absicht selbst gelegt.

Wenn Elektrosmog in einer desinformierten und gegenüber staatlichen Maßnahmen misstrauischen Gesellschaft als Problem gesehen wird, liegt es nahe, dass sich auch die Wissenschaft in den betroffenen Ländern stärker als anderswo mit dem Thema befasst. Dies könnte erklären, warum die USA (gespaltenes Land) und Italien (Vorsorgewerte, politisch instabil) so auffallend viele mobilfunkkritische Wissenschaftler haben. Da die Schweiz nicht in der EU ist, fehlt sie im Eurobarometer. Sie hätte dort mMn einen Spitzenplatz eingenommen.

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Deltour-Studie 2021: J. Schüz beantwortet Fragen

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 10.11.2021, 21:57 (vor 870 Tagen) @ H. Lamarr

Die derzeit in Lyon koordinierten beiden HF-EMF-Forschungsprojekte seien a) der französische Arm der Cosmos-Studie und b) das vom Bundesamt für Strahlenschutz geförderte GliMoRi-Projekt, das die Hirntumor-Inzidenzraten der nordischen Ländern neu evaluiere (Update der Arbeit von Deltour et al., Epidemiology, 2012).

Nachdem Schüz' Mitarbeiterin Isabelle Deltour erste Ergebnisse des GliMoRi-Projekts am 27. Mai 2021 anlässlich einer Online-Veranstaltung des BfS präsentierte, war ihr Chef Gast auf der jüngsten (22.) Sitzung des Runden Tischs EMF (RTEMF), die vom BfS im Juni 2021 ebenfalls als Videokonferenz abgehalten wurde. Schüz stellte die Studie von Deltour vor und beantwortete dann Fragen der Teilnehmer. Dabei wurde u.a. ersichtlich, wie störungsanfällig Studiendesigns sein können. Hier der zugehörige Auszug aus dem RTEMF-Protokoll, beginnend mit der Studienvorstellung:

[...] Epidemiologische Studien zeigen überwiegend kein erhöhtes Risiko für Hirntumore durch Handynutzung. Einige wenige Fall-Kontroll-Studien fanden jedoch Hinweise auf erhöhte Risiken für bestimmte Subgruppen. Wenn ein solcher Zusammenhang tatsächlich ursächlich wäre, müsste sich ein erhöhtes Risiko durch Mobilfunknutzung in einem Anstieg der Inzidenzraten über die Zeit abbilden, da seit vielen Jahren über 90% der Bevölkerung ein Handy nutzt. Herr Schüz stellt die Ergebnisse eines Ressortforschungsvorhabens des BfS/BMU vor, in dem die besonders vollständigen Krebsregister der nordischen Länder wie Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden mit Bezug auf Gliome unter Männern von 1979 bis 2016 zu dieser Fragestellung ausgewertet wurden. Ergebnis ist, dass die beobachtete zeitliche Entwicklung der Hirntumorinzidenzraten nicht kompatibel mit den in einigen wenigen früheren Fall-Kontroll-Studien beobachteten Risiken durch Mobilfunknutzung ist.

Die in den damaligen Fall-Kontroll-Studien vereinzelt beobachteten erhöhten Risiken sind höchstwahrscheinlich auf methodische Probleme dieser Studien zurückzuführen. Die Ergebnisse des Ressortforschungsvorhabens passen zu den Ergebnissen der Kohortenstudien, die keine Risikoerhöhung sehen. Sehr kleine Risiken oder Risiken, die nur kleine Untergruppen der Bevölkerung betreffen, sind mit diesem sog. ökologischen (d.h. zeitlich zusammengefasste statt individuelle Daten) Studienansatz jedoch nicht auszuschließen.

Der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben steht noch aus, wird sich aber im Laufe des Jahres unter der Kennziffer „FM8867" in der Publikationsdatenbank des BfS (http://doris.bfs.de/jspui/) einsehen lassen [was am 10. November 2021 noch nicht der Fall war; Anm. Postingautor]. Auch die Publikation der Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Journal ist noch für 2021 geplant. Die Teil nehmer*innen des Runden Tisches werden jeweils entsprechend informiert.

Herr Unger (Telekom) fragt anschließend zum einen nach, inwieweit die Befragungssituationen solcher Studiendesigns Einfluss auf das Antwortverhalten der Proband*innen nehmen können. Zum anderen: Wenn die durchschnittliche Entstehungszeit für Hirntumore bei circa zehn Jahren liegt, ließe sich der Mobilfunk inzwischen nicht als eine mögliche Ursache ausschließen? Wie Herr Schüz (IARC) erklärt, sind Studiendesigns wie bei INTERPHONE tatsächlich vorsichtig zu bewerten, da sich das eigene Erinnerungsvermögen und die Objektivität des individuellen Rückblicks auf die gegebenen Antworten auswirken können. Allein der Umstand, dass eine Gruppe von ihrer diagnostizierten Erkrankung weiß und die andere sich wiederum als gesund erachten kann, kann zu einer gewissen Verzerrung führen. Zusätzlich kann sich der Hirntumor auf die kognitiven Fähigkeiten - wie z.B. sich korrekt zu erinnern oder eigenständig zu antworten - negativ auswirken. Bezüglich der zurückliegenden Zeitspanne seit der flächendeckenden Einführung des Mobilfunks lässt sich aus biologischer Sicht inzwischen tatsächlich immer schwerer begründen, warum die Inzidenzraten nicht steigen, aber dennoch ein Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Mobilfunk bestehen soll.

Herr Schulz (Vodafone) möchte wissen, inwieweit sich die Ergebnisse dieser Studie auf Folgestudien und Risikobewertungen auswirken. Für die Bürger*innen sind derartige Forschungsvorhaben und ihre Abschlussberichte schließlich nur schwer verständlich. Herr Schüz (IARC) verweist auf das aktuelle systematische Review der WHO zum Thema Mobilfunk und dessen Risikoeinstufung. Er hofft, dass auch diese Ergebnisse des heute vorgestellten Ressortforschungsvorhabens bei dieser Gesamtschau mit einfließen werden.

Herr Neuhäuser (BfS) erkundigt sich, inwieweit die Daten der skandinavischen Krebsregister auf Kontinentaleuropa oder andere Regionen übertragbar sind. Wie Herr Schüz (IARC) erläutert, wurden die nordischen Register u.a. gegenüber dem deutschen Register bevorzugt, weil die Datenqualität deutlich vollständiger ausfällt. Bezüglich der Übertragbarkeit ist davon auszugehen, dass sich auch mit amerikanischen und australischen Daten vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen. Zudem gilt die mangelnde Vergleichbarkeit der Krebsregister deutlich weniger für die Sterberegister der Länder. Diese werden weitestgehend gleich geführt und auch hier lassen sich keine statistischen Zusammenhänge in der Entwicklung der Sterblichkeit seit Einführung des Mobilfunks erkennen.

Frau Ziegelberger (BfS) verweist abschließend auf die Vielzahl an unterschiedlichen Arten von Hirntumoren und fragt nach, ob das gewählte Studiendesign sich auch für die Untersuchung von Unterarten verschiedener Hirntumore und deren möglichen Mobilfunkeinflüsse anbietet. Herr Schüz (IARC) stimmt zu, dass die Komplexität der Aufgabe mit Blick auf die vielen verschiedenen Hirntumortypen nochmals steigen kann. Die technologische Entwicklung der Diagnostik beeinflusst die Fallzahlen in Subgruppen stark und dies je nach Land seit unterschiedlichen Zeitpunkten. [...]

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