Schweiz: Rat für Raumordnung analysiert Folgen der Megatrends (Allgemein)

Gast, Samstag, 18.05.2019, 12:43 (vor 1798 Tagen)

Der Schweizer Rat für Raumordnung ROR hat im Auftrag des Bundesrats die möglichen Wirkungen von Megatrends auf die Raumentwicklung der Schweiz eingeschätzt und Empfehlungen formuliert. Folgend die Einschätzung des ROR zum Megatrend Digitalisierung, entnommen dem 41-seitigen Dokument Megatrends und Raumentwicklung Schweiz. Zukunftsphobikern stehen schwere Zeiten bevor, ihnen und anderen empfiehlt der Rat die Bergkantone als Rückzugsorte.

Digitalisierung

Nach den früheren Technologieschüben der Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung ist heute die Digitalisierung in allen Bereichen des Lebens prägend geworden. Der Begriff Digitalisierung bezeichnet das Umwandeln von analogen Werten in digitale Formate. Durch die zunehmende Verwendung von digitalen Geräten wie Computer oder Handys, aber auch durch das digitale Neuerfassen bestehender Informationen z.B. von Bibliotheken, Plänen oder Prozessen, nimmt die verfügbare Datenmenge exponentiell zu und verändert Ausbildung, Wirtschaft und das Privatleben radikal und unumkehrbar. Das Zukunftsinstitut benennt dies „Konnektivität”, also Vernetzung als Folge der Digitalisierung, die mit neuen Übermittlungstechnologien z.B. 5G massiv ausgebaut wird. In der digitalen Vernetzung entlang der Wertschöpfungsketten und des gesamten Lebenszyklus von Marktleistungen liegt für die Industrie ein grosses wirtschaftliches Potenzial.

Dieses reicht von Produktivitätssteigerungen über Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen bis hin zu neuen Geschäftsmodellen. Die Digitalisierung ermöglicht die Industrie 4.0. Anders als bei vorherigen technologiegetriebenen Umbrüchen geht es dabei nicht um eine einzelne Technik, sondern um die Kombination aus verschiedenen Methoden und digitalen Technologien sowie aus der Vernetzung von Menschen, Produkten, Maschinen, Systemen und Unternehmen, die neue Potenziale erschliessen.

Die Optimierung setzt somit innerhalb verschiedener Unternehmensbereiche oder an den Schnittstellen zu Kunden, Lieferanten oder Partnern an. Das führt zu neuen Kundenbedürfnissen und Ansprüchen und zur individualisierten Produktion. Die Geschwindigkeit der skizzierten Entwicklung nimmt zu – es wird von exponentieller Zunahme gesprochen. Wichtiger Grund ist die weltweite Ausbreitung der digitalen Geräte, welche umfassend genutzt und adaptiert werden, beim Lernen, im beruflichen Alltag und in der Freizeit. Dazu kommt, dass die Infrastruktur laufend ausgebaut und leistungsfähiger wird und die Technologien leistungsfähiger werden.

Für den Alltag – insbesondere für denjenigen älterer oder behinderter Menschen – bringt die Digitalisierung Vereinfachungen, Hilfestellung und Entscheidungsgrundlagen zum Beispiel für Kommunikation, Mobilität, Einkaufen oder für die Freizeitplanung, zunehmend auch für die Steuerung der Haustechnik – unabhängig vom Ort, allenfalls eingeschränkt durch den Zugang oder die Infrastruktur. Die Bedienung der Geräte vereinfacht sich; die Zukunft liegt in der Sprachsteuerung. Die Digitalisierung schafft auch die Voraussetzungen für das Einführen des autonomen Fahrens auf der Strasse, auf der Schiene und in der Luft, stufenweise von Assistenzsystemen bis zum autonomen Fahren.

Die Digitalisierung birgt allerdings auch Risiken. Zwei Themen beherrschen aktuell die Diskussion: die Angst vor einer neuen Arbeitslosigkeit und die Sicherheitsfrage. Aber auch die Fragen der Abhängigkeiten, der Unsicherheiten und ein möglicher Identitätsverlust sind virulent.

ERWARTETE AUSWIRKUNGEN AUF DIE RAUMENTWICKLUNG SCHWEIZ

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Raum Schweiz sind enorm. Sie sind in Kombination mit anderen Megatrends wie Globalisierung, Individualisierung und Demografie zu beurteilen. Die Auswirkungen betreffen fast alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche. Die Arbeits- und Freizeitwelt wird flexibel und multilokal. Es werden neue Themen relevant, wie z.B. Datensicherheit, Datenschutz, Cyberkriminalität, Führung im digitalen Zeitalter, digitale Aus- und Weiterbildung, soziale Medien, Sharing Economy usw. Alle genannten Themen betreffen den Lebensraum sowie den Werk- und Denkplatz Schweiz. Für die Schweizer Wirtschaft ist dank Industrie 4.0, die mit der starken Automatisierung rentabel kleinere Mengen und eine individualisierte Produktion ermöglicht, ein „Reshoring“ der Produktion zurück in die Schweiz ein zentrales Thema, da sich in der Produktion neue Arbeitsplätze schaffen lassen. Neue Arbeitsplatzgebiete werden an gut erreichbaren Standorten in der ganzen Schweiz entstehen.

Die Flexibilisierung, die Emanzipierung vom Raum und die Möglichkeit der autonomen Mobilität wird die Raumplanung in der Schweiz vor grosse Herausforderungen stellen. Arbeitnehmende profitieren von neuen Arbeitsmodellen mit Home-Office, Mobile-Office, Desk-Sharing, Co-Working-Spaces etc. Sie können durch Vernetzung mit ihrem Arbeitsplatz ihre Aufgaben an beliebigen Orten erfüllen. Die Arbeitgebenden profitieren, indem sie weniger fixe Arbeitsplätze einrichten müssen. Ihr Raumbedarf wird kleiner und flexibler, durch das Einmieten in einen Co-Working-Space an weniger zentralen, günstigeren Standorten z.B. in periphereren Gemeinden („Village-Office”). Diese zunehmende Flexibilität kann - insbesondere zu Hauptverkehrszeiten - zu einer Abnahme der Pendlermobilität führen, wodurch die Spitzenbelastung von Schiene und Strasse reduziert werden kann.

Die mehrheitlich elektrisch betriebene und dadurch emissionsärmere Mobilität könnte in der Schweiz zunehmend von automatisierten Fahrzeugen geprägt sein. Der Schienenverkehr behält seine Bedeutung als Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen den Zentren und als S-Bahn-System im städtischen Umfeld, der Agglomeration. In peripheren Räumen dürfte sie aber durch selbstfahrende Fahrzeuge abgelöst werden. Auch die durch den Onlineverkauf angestiegenen Logistikfahrten können künftig digital gesteuert, z.B. mit Drohnen oder automatisierten Postfahrzeugen ausgeführt werden (vgl. dazu: Bundesamt für Strassen ASTRA: Automatisiertes Fahren – Folgen und verkehrspolitische Auswirkungen, 2016).

Im Dienstleistungs- und Pflegebereich kommen Maschinen und Roboter mit Spracherkennung in Kombination mit künstlicher Intelligenz zum Einsatz und ermöglichen einen neuen Zugang des Menschen zu Maschinen. Die Städte entwickeln sich zu „smart cities“. Dank technischen Fortschritts und der Vernetzung von Dingen wird es möglich, Verbesserungen hinsichtlich Lebensqualität und Umwelt herbeizuführen. So muss es den Städten gelingen, sich trotz des ökologischen und ökonomischen Drucks nachhaltig weiterzuentwickeln. Durch optimierte Abläufe können Sparmassnahmen umgesetzt und Kosten gesenkt werden.

Die Digitalisierung steigert die Produktivität der Landwirtschaft und verringert den Bedarf an Personal. Automatisierte, selbstfahrende Maschinen für das Säen, Pflegen und Ernten kommen zum Einsatz. Es werden Treibhäuser, Masthallen aber auch volldigitale Viehställe erstellt. Diese Entwicklung verändert das Landschaftsbild.

Im Mittelland ergeben sich Konflikte zwischen dem Bedürfnis nach Erhalt der Landschaft für die Naherholung und intensiver landwirtschaftlicher Produktion. Den Bergkantonen bietet die Digitalisierung und die damit verbundene Abnahme der Bedeutung von Distanz neue Chancen. Zusammen mit der Klimaveränderung gewinnen einzelne Orte in den Bergen in den Sommermonaten als Rückzugs- oder Ferienorte vermehrt an Bedeutung.

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Soziale Medien

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