Vermeintlicher Krebscluster in Eckersdorf (Donndorf) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 06.11.2013, 02:17 (vor 3797 Tagen)

Nach langer Pause versuchen bayerische Mobilfunkgegner es mit einer Neuauflage der Naila-Studie, und melden einen Krebscluster in Eckersdorf, einer 5000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Bayreuth.

Der Nordbayerische Kurier berichtete bereits am 17. September 2013 mit einem sauber recherchierten Artikel. Demnach hat die 74-Jährige Anwohnerin Gretl Stiefler über zehn Jahre hinweg auffällig viele Krebsfälle in ihrer Nachbarschaft gezählt: 35 sollen es gewesen sein, 27 mit Todesfolge.

Als Ursache sieht Frau Stiefler die 23 Mobilfunk-Antennen auf dem 18 Meter hohen Silo einer Schreinerei. Und die alte Dame hat sich aus einschlägigen Quellen im Internet mit Material eingedeckt, weiß Bescheid über Belo Horizonte (Brasilien) und Valladolid (Spanien). Dummerweise auch über einen Fall in der Steiermark, wobei es sich dabei nur um den sagenhaften Krebscluster von Hausmannstätten handeln kann, der, obwohl inexistent, einst von Dr. med. Oberfeld wissenschaftlich präzise dokumentiert wurde.

300 Unterschriften gegen den Silo-Standort hat die alte Dame bereits gesammelt und die Anti-Mobilfunk-Szene ist auf sie aufmerksam geworden. Allen voran der in Bayreuth ansässige Baubiologe Joachim Weise, der den Fall auf einer seiner Websites vorträgt, und mit unzutreffenden Vergleichszahlen Ängste schürt. Und weil es anscheinend keine besseren Meldungen mehr gibt, stößt auch das 4-seitige Kampfblättchen der Anti-Mobilfunk-Szene (Elektrosmog-Report) in seiner November-Ausgabe ins gleiche Horn und fragt scheinheilig: "Krebs durch Mobilfunk im Landkreis Bayreuth?"

Die Faktenlage ist allerdings so, dass mit einer Halbwertszeit von vier Wochen die Bayernstory, zum Verdruss der Geschäftemacher, in Vergessenheit geraten wird.

Fakten

In dem folgenden Bild sind mit Hilfe der IZgMF-Winkelscheibe die Hauptstrahlrichtungen des fraglichen Standorts in Form blauer Linien eingetragen. Diese Informationen lassen sich von der EMF-Datenbank der BNetzA abfragen. Dort erkennt man übrigens, dass es in Eckersdorf noch einen weiteren Standort für einen Mobilfunksender gibt, der jedoch anscheinend niemanden stört. Die kleinen weißen Zahlentafeln im Bild nennen die von Frau Stiefler durch Umfragen in der Nachbarschaft ermittelten Krebsfälle: der erste Wert nennt die Anzahl der Krebserkrankungen mit Todesfolge, der zweite die Krebsfälle ohne Todesfolge. Übernommen habe ich diese Daten von hier (PDF).

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Bild: IZgMF, mit Karte von Google Earth

Wie unschwer zu erkennen ist, gibt es keine auffällige Korrelation zwischen den Hauptstrahlrichtungen der Antennen und den angeblichen Krebsnestern.

Noch frappierender ist aber das, was der "Kurier" in Erfahrung brachte: Der Krebscluster von Eckersdorf existiert bei Licht besehen gar nicht! Zwischen 2002 und 2009 sind dort durchschnittlich 14,9 Männer und 11 Frauen pro Jahr an Krebs erkrankt. Bayerischer Durchschnitt wäre gewesen: 16 Männer und 13,8 Frauen pro Jahr.

Und auch des Rätsels wahrscheinlich triviale Lösung ist in der Zeitung genannt. Dort heißt es zur Lebenssituation: Viele ältere Menschen wohnen hier, sie haben sich in jungen Jahren ein Haus gebaut, alles investiert, was sie hatten. Da Krebs ein typische Alterskrankheit ist, beobachten alte Menschen naturgemäß eine für sie besorgniserregende Zunahme von Krebsfällen in ihrem (mitgealterten) Umfeld. Mit Mobilfunk hat dies nichts zu tun, sondern es ist eine Wahrnehmungsverzerrung. In "Sun City", die Seniorenstadt in Kalifornien, ist der Altersschnitt der Bewohner gegenüber der normalen US-Bevölkerung deutlich höher. Sun City muss demnach ein Krebscluster wie ein Bombentrichter sein, selbst wenn dort kein einziger Mobilfunk-Sendemast steht.

Der vermeintliche Krebscluster in Eckersdorf ist eine Kopfgeburt. Geburtshelfer sind die Anti-Mobilfunk-Vereine, die mit unqualifizierter Berichterstattung und mit Panikmeldungen unbegründete Ängste gegenüber Mobilfunk schüren. Frau Stiefler wurde erst Opfer dieser Vereine, bevor sie Täterin wurde, und ihrerseits Angst und Schrecken wegen Elektrosmog verbreitet. Geschäftemacher profitieren von solchen Situationen, z.B. wenn verängstige Anwohner unnötige Messungen oder Abschirmmaßnahmen bestellen und Gemeinderäte sich mit einem unnötigen Standortgutachten dem Druck einiger Wutbürger auf Kosten der Allgemeinheit beugen.

Hintergrund
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Filz, Baubiologe, Alarmschläger, Krebscluster, Elektrosmog-Report, Profiteur, Bauernfängerei, Weise, Alarm, Popanz, Winkelscheibe, Nachbarschaft, Kolporteur

Vermeintlicher Krebscluster in Eckersdorf (Donndorf)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 07.11.2013, 10:32 (vor 3795 Tagen) @ H. Lamarr

Noch frappierender ist aber das, was der "Kurier" in Erfahrung brachte: Der Krebscluster von Eckersdorf existiert bei Licht besehen gar nicht! Zwischen 2002 und 2009 sind dort durchschnittlich 14,9 Männer und 11 Frauen pro Jahr an Krebs erkrankt. Bayerischer Durchschnitt wäre gewesen: 16 Männer und 13,8 Frauen pro Jahr.

Im Gigaherz-Forum will "Mahner" sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, er wendet ein:

Die Auffälligkeit der Konzentration der privat erfassten 36 Krebsfälle auf eine relativ kleine Gebietsfläche ist jedenfalls erkennbar. Diese "Verdichtung" sollte in der Tat für weitere Analysen Anlass genug sein.

Die von Ihnen angegebenen Durchschnittswerte beziehen sich auf die Gesamtgemeinde mit einer Gesamt-Einwohnerzahl von 5476 – die Fälle der Krebskartierung dagegen nur auf den Ortsteil Donndorf mit einer Einwohnerzahl von 2105 (Stand 04.07.2013)

Insofern ist die Durchschnittsangabe der Gesamtgemeinde Eckersdorf und der Bezug auf den bayrischen Durchschnitt keine überzeugende Relativierung, für mich eher Augenwischerei!

Was macht der Mann falsch, wo ist diesmal sein Denkfehler?

Im "Kurier" heißt es: In Eckersdorf sind zwischen 2002 und 2009 durchschnittlich 14,9 Männer und 11 Frauen pro Jahr an Krebs erkrankt. Der Bayernschnitt liegt bei 16 Männern und 13,8 Frauen pro Jahr.

Wenn diese Zahlen zutreffen, sind in Eckersdorf pro Jahr rund 26 Personen an Krebs erkrankt, macht unter der Annahme einer konstanten Inzidenzrate in zehn Jahren (Beobachtungszeitraum der Anwohnerin) 260 Krebsfälle. Beobachtet hat die Frau aber nur 35 Krebsfälle (13 Prozent von 260). Schaut man sich nun die Fläche an, die die Anwohnerin im Blick hatte, und vergleicht diese mit der Gesamtfläche des Ortsgebietes, kommen die 13 Prozent über den Daumen betrachtet durchaus hin.

Die gefühlte "Augenwischerei" bei "Mahner" ist also auf einen Denkfehler bei ihm zurückzuführen: Der Mann hat schlicht übersehen, dass die genannten amtlichen Fallzahlen aufs Jahr bezogen sind, die Angaben der Anwohnerin jedoch auf 10 Jahre.

Aus solchen Denkfehlern heraus "weitere Analysen" zu fordern belegt einmal mehr die Existenz des Bergs der Blöden.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Bügermeisterin Pichl erteilt Angstschürern Absage

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 07.11.2013, 22:12 (vor 3795 Tagen) @ H. Lamarr

Auszug aus dem Redemanuskript von Eckersdorfs erster Bürgermeisterin Sybille Pichl anlässlich der jüngsten Bürgerversammlung im Ort:

Mobilfunk- und andere Antennen geben immer wieder Anstoß zu Diskussionen. Aktuell, Sie haben es sicher in der Zeitung verfolgt, geht es bei uns darum, ob diese verstärkt Krebs auslösen. Wie uns das Bayerische Krebszentrum mitgeteilt hat und dies auch vom Gesundheitsamt Bayreuth bestätigt wurde, liegt die Rate der Neuerkrankungen in unserer Gemeinde unter dem Landesdurchschnitt.
Wie in vielen Bereichen gibt es auch hier genügend Gründe, die für eine entsprechende Gefährdung sprechen. Es gibt auch genauso viele, die dagegen tendieren. Ich möchte heute keine Beurteilung dieses Sachverhalts vornehmen, sondern vielmehr darum bitten, mit diesem sensiblen Thema keine unnötigen Ängste zu schüren. Es ist heute in unserer Gesellschaft wichtig, stets erreichbar zu sein und mit dem Fortschritt zu gehen. Hierzu sind technische Anlagen einfach notwendig und diese müssen zwangsläufig irgendwo stehen. Auch das bitte ich zu berücksichtigen.
Die notwendigen Standortbescheinigungen, die Auskunft über die Messwerte geben, liegen in diesem konkreten Fall alle vor.
Wir wollen das nicht kleinreden, sondern mit Bedacht und Hilfe von Fachleuten nach befriedigenden Antworten suchen. Selbstverständlich werden wir unsere Bevölkerung informieren, wenn es hier Neuigkeiten gibt.

Hervorhebungen von Spatenpauli

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Gemeinde, Bürgermeister

Krebszahlen in Bayern seit 2005 leicht rückläufig

H. Lamarr @, München, Freitag, 08.11.2013, 09:18 (vor 3794 Tagen) @ H. Lamarr

Zwischen 1992 und heute wurden in Deutschland mehr als 70'000 Standorte für Mobilfunksender mit noch viel mehr Antennen errichtet. Nach den D-Netzen kamen die E-Netze, UMTS, W-LAN und LTE.

Explodieren deshalb die Krebszahlen, wie es kommerziell orientierte Mobilfunkgegner so gerne hätten?

Aus aktuellem Anlass hier ein Auszug aus dem Jahresbericht 2012 des Bayerischen Krebsregisters:

Die alterskorrigierten Neuerkrankungs- und Sterberaten von Krebs insgesamt sind in Bayern bei Männern seit 2005 leicht rückläufig, bei Frauen etwa gleich bleibend. Die Entwicklung der Gesamt krebsraten wird vor allem durch die vier häufigsten Tumorarten beeinflusst: Dickdarm-, Lungen-, Brust- und Prostatatumoren. Bei Männern zeigen Dickdarm- und Lungentumoren seit mehreren Jah ren einen Rückgang, bei Frauen steht dem Rückgang von Darmkrebs eine steigende Zahl von Lungenkrebsfällen gegenüber. Zudem werden im Rahmen des Mammographiescreenings mehr Brust tumoren erkannt. Die Erkrankungsraten bei Prostatatumoren haben sich dagegen in den letzten Jahren kaum verändert.
Steigende Neuerkrankungsraten sind zur Zeit nur für maligne Melanome und Schilddrüsentumoren zu beobachten, bei Frauen zusätzlich auch für Tumoren der Lunge.
Steigende Krebssterblichkeitsraten sind bei Männern in den letzten Jahren gar nicht, bei Frauen wiederum nur für Lungentumoren zu erkennen.

Das Krebsregister bietet eine Unmenge an gut aufbereiteten Zahlen und Grafiken und man muss kein Wissenschaftler sein, um daraus Schlüsse ziehen zu können. Die folgende Grafik zeigt z.B. die Krebshäufigkeit in den bayerischen Landkreisen. Dabei fällt auf, Oberfranken ist im Vergleich zu anderen Regionen ein einziger großer Krebscluster. Hierfür werden vorwiegend Lebensstilfaktoren als Ursache vermutet.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
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