Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz? (Allgemein)

cassandra, Freitag, 04.09.2009, 09:04 (vor 5341 Tagen)

Ich habe eine Frage an die SAR-Experten unter euch:

Der maximale SAR-Wert eines GSM-900-Handys (Sendeleistung: 2 W peak, 250 mW RMS) liegt bei 2 W/kg. Nun arbeiten GSM-1800-Handys aber nur mit 1 W peak, 125 mW RMS. Mich würde interessieren, ob dadurch auch die maximale Absorption auf 1 W/kg sinkt. Oder hat die höhere Frequenz ein besseres Absorptionsverhalten, sodass der maximale SAR-Wert letztlich doch wieder bei 2 W/kg liegt?

Gibt es zumindest eine Näherungsformel, mit der sich bei bekannter Sendeleistung und Frequenz der zu erwartende SAR-Wert abschätzen lässt?

Es sind ausschliesslich konstruktive Beiträge erwünscht. Ich bitte daher insbesondere wuff und charles, von Antworten abzusehen.

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SAR-Wert

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

H. Lamarr @, München, Freitag, 04.09.2009, 11:50 (vor 5341 Tagen) @ cassandra

Der maximale SAR-Wert eines GSM-900-Handys (Sendeleistung: 2 W peak, 250 mW RMS) liegt bei 2 W/kg. Nun arbeiten GSM-1800-Handys aber nur mit 1 W peak, 125 mW RMS. Mich würde interessieren, ob dadurch auch die maximale Absorption auf 1 W/kg sinkt. Oder hat die höhere Frequenz ein besseres Absorptionsverhalten, sodass der maximale SAR-Wert letztlich doch wieder bei 2 W/kg liegt?

Gute Frage, die ich Ihnen jedoch nicht vollständig beantworten kann. Sicher ist: Die EU-Ratsempfehlung von maximal 2 W/kg gilt für alle Handys, nicht nur für GSM900er.

Da die Zeiten getrennter Funkbänder für D1 und D2 vorbei und Dual-Band- oder Tri-Band-Handys üblich sind, ist mMn eine separate Betrachtung von GSM900- und GSM1800- (und UMTS-)Handys nicht mehr zeitgemäß. Ein und dasselbe Handy sendet heute von Fall zu Fall in einem dieser Bänder, die SAR muss dabei unabhängig vom Band < 2 W/kg bleiben. Bei solchen Handys dürfte dann Ihre Hypothese zutreffen: Im GSM1800-Betrieb mit maximal 1 W Sendeleistung (peak) wird die SAR nur 50 % des Werts erreichen, den das Handy im GSM900-Betrieb mit maximal 2 W Sendeleistung verursacht. Vergleichbar sind die Werte deshalb, weil Gehäusebauform und Antennenposition exakt gleich bleiben. Beides prägt neben der Sendeleistung die SAR, die ein Handy verursacht. Beim Vergleich mit unterschiedlichen Handys sieht es anders aus, da könnte ich mir vorstellen, dass ein SAR-mäßig schlecht konstruiertes Handy im GSM1800-Betrieb einen schlechteren (höheren) SAR-Wert verursacht, als ein gut gebautes - nein, nicht Model, sondern Handy im GSM900-Betrieb.

Ob die SAR bei höheren Frequenzen "kritischer" ist und deshalb 1 W/kg bei 1800 MHz biologisch ebenso wirksam sind wie 2 W/kg bei 900 MHz weiß ich nicht, da müsste ich erst googlen.

Ein echter SAR-Experte sagte hier: Für ein festgelegtes Szenario (Quelle – Umgebung – biologisches System) gilt immer eine lineare Beziehung zwischen SAR und Leistungsdichte: verdoppelt man die Leistungsdichte, verdoppelt sich auch die SAR.

Und gemäß folgender Formel, die ich hier bei RDW geklaut habe, ist die Leistungsdichte S proportional zur Sendeleistung P. Also gilt: Doppelte Leistung --> doppelte Leistungsdichte --> doppelte SAR. Oder in der Variante für "wuff": Doppelte Leistung --> vierfache Feldstärke --> doppelte SAR.

[image]

Gibt es zumindest eine Näherungsformel, mit der sich bei bekannter Sendeleistung und Frequenz der zu erwartende SAR-Wert abschätzen lässt?

Ist mir nicht bekannt, hätte ich aber auch gerne zur Hand.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

cassandra, Freitag, 04.09.2009, 14:47 (vor 5341 Tagen) @ H. Lamarr

Danke für die ausführliche Antwort.

Dass doppelte Sendeleistung zu doppelter Leistungsdichte und diese wiederum zu doppelter SAR führt, davon kann man m.E. nur bei constanter Frequenz ausgehen. Ich würde also vermuten, dass SAR ~ P gilt. Mich würde hauptsächlich interessieren, ob man SAR(f) irgendwie abschätzen kann. Gegoogled habe ich auch schon, auch diverse Dosimetrie-Abschlussberichte des DMF gelesen, aber so richtig fündig geworden bin ich nicht.

Da die Zeiten getrennter Funkbänder für D1 und D2 vorbei und Dual-Band- oder Tri-Band-Handys üblich sind, ist mMn eine separate Betrachtung von GSM900- und GSM1800- (und UMTS-)Handys nicht mehr zeitgemäß.

Praktisch ja, aber manchmal möchte man es dann doch genauer wissen ;-)

Hier z.B. wird auf S.157 von einem maximalen SAR bei GSM1800 von 2 W/kg ausgegangen und auf DECT heruntergerechnet. Man kommt dann auf 0.16 W/kg (max). Geht gut, weil die Frequenzen ähnlich sind. Aber wie ist es z.B. bei UMTS? 125 mW --> 2 W/kg?

Mir wäre auch geholfen, wenn jemand ein Paper kennt, in der SAR(f) untersucht wurde. Man müsste m.E. eigentlich auch weiterkommen, wenn man die Frequenzabhängigkeit der Leitfähigkeit kennt.

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

H. Lamarr @, München, Freitag, 04.09.2009, 15:50 (vor 5341 Tagen) @ cassandra

Mir wäre auch geholfen, wenn jemand ein Paper kennt, in der SAR(f) untersucht wurde. Man müsste m.E. eigentlich auch weiterkommen, wenn man die Frequenzabhängigkeit der Leitfähigkeit kennt.

Leitfähigkeit von was: Muskelgewebe, Fett, Knochen, Hirn?

Kennen Sie das folgende Diagramm schon?

[image]

Dies und mehr gibt's hier: EMF-Portal

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Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

Kuddel, Freitag, 04.09.2009, 16:20 (vor 5340 Tagen) @ cassandra

Aber wie ist es z.B. bei UMTS? 125 mW --> 2 W/kg?

Mir wäre auch geholfen, wenn jemand ein Paper kennt, in der SAR(f) untersucht wurde. Man müsste m.E. eigentlich auch weiterkommen, wenn man die Frequenzabhängigkeit der Leitfähigkeit kennt.

In dem von Spatenpauli eingestellten Diagramm (Ganzkörper-SAR, bzw Fernfeld) sieht man, daß im Bereich von 1000MHz der Verlauf der Absorptionsrate sehr flach ist, d.h. die Änderung zu 2000MHz dürfte nicht sehr groß sein.

Ihr Problem ist mit der Leitfähigkeit allein aber nicht gelöst, denn es kommt auf den Grad der Leistungsanpassung zwischen Handy-Antenne und dem biologischen Gewebe an. Die Antenne transformiert üblicherweise die 50Ohm Sender-Impedanz auf den Wellenwiderstand des freien Raumes.
Kriterium geringes SWR, bzw S11 für maximal mögliche (aber begrenzte) Leistungsabgabe.
Ist die Anpassung nicht in Ordnung, wird ein Teil der Energie in die Sendestufe zurück reflektiert und nur der übrige Teil abgegeben.
Kommt nun ein verlustbehafteter Gegenstand (Kopf,Ohr) in die Nähe der Antenne, so ist die Energieaufnahme (Absorptionsrate) von der "Anpassung" der Antenne zum komplexen Leitwert des Gegenstandes abhängig, welche man im Fall einer bezüglich Geometrie beliebig komplexen Handyantenne relativ z.B. zu einem Ohr vermutlich nur durch numerische Simulation lösen kann....
Dabei ist z.B. auch zu berücksichtigen, wie stark sich durch die Annäherung an den Gegenstand die Resonanzfrequenz der Antenne verschiebt und damit wiederum die Anpassung...sehr komplexe Zusammenhänge, welche nicht ohne Weiteres in eine einfache Formel gepresst werden können.

K

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

H. Lamarr @, München, Freitag, 04.09.2009, 18:23 (vor 5340 Tagen) @ Kuddel

... sieht man, daß im Bereich von 1000MHz der Verlauf der Absorptionsrate sehr flach ist, d.h. die Änderung zu 2000MHz dürfte nicht sehr groß sein.

Mit diesem Punkt, dass die Frequenzachse bei 1 GHz endet, habe ich so meine liebe Not. Die Steigung einzelner Kurven sieht so aus, als ob die SAR in Richtung höherer Frequenzen die Absicht hat, wieder anzusteigen - statt brav in der Waagerechten zu bleiben oder - noch besser - sanft zu fallen. Was meinen Sie, ist so ein Anstieg überhaupt zu erwarten?

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Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

Kuddel, Freitag, 04.09.2009, 20:19 (vor 5340 Tagen) @ H. Lamarr

... sieht man, daß im Bereich von 1000MHz der Verlauf der Absorptionsrate sehr flach ist, d.h. die Änderung zu 2000MHz dürfte nicht sehr groß sein.

Mit diesem Punkt, dass die Frequenzachse bei 1 GHz endet, habe ich so meine liebe Not. Die Steigung einzelner Kurven sieht so aus, als ob die SAR in Richtung höherer Frequenzen die Absicht hat, wieder anzusteigen - statt brav in der Waagerechten zu bleiben oder - noch besser - sanft zu fallen. Was meinen Sie, ist so ein Anstieg überhaupt zu erwarten?

Im Hinblick auf die logarithmische Skalierung der Frequenzachse ist es in der Abbildung nicht mehr "sehr weit" bis 2GHz, daher erwarte ich keine große Differenz zu 1GHz.

Will man Näheres wissen, so muß man wohl in die entsprechenden Publikationen schauen. Folgende Stellen sehen vom Titel her recht vielversprechend aus, leider kostenpflichtig... (Quelle aus einem FGF Newsletter)

[8] P.J.Dimbylow,“Fine resolution calculations of SAR in the human body for frequencies up to 3GHz”, Physicsin Medicine and Biology ,vol. 47, pp. 2835–2846, 2002.

[9]Jianqing Wang,Osamu Fujiwara,Sachiko Kodera, and Soichi Watanabe,“FDTD calculation of whole-body average SAR in adult and child models for frequencies from 30 MHz to 3GHz”, Physics in Medicine and Biology, vol.51,pp.4119–4127,2006.

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

Kuddel, Freitag, 04.09.2009, 15:17 (vor 5341 Tagen) @ cassandra

Der maximale SAR-Wert eines GSM-900-Handys (Sendeleistung: 2 W peak, 250 mW RMS) liegt bei 2 W/kg. Nun arbeiten GSM-1800-Handys aber nur mit 1 W peak, 125 mW RMS. Mich würde interessieren, ob dadurch auch die maximale Absorption auf 1 W/kg sinkt. Oder hat die höhere Frequenz ein besseres Absorptionsverhalten, sodass der maximale SAR-Wert letztlich doch wieder bei 2 W/kg liegt?

Gibt es zumindest eine Näherungsformel, mit der sich bei bekannter Sendeleistung und Frequenz der zu erwartende SAR-Wert abschätzen lässt?

Die maximal auftretenden SAR Werte einiger Telefon-Exemplare sind hier sehr schön dargestellt (nach GSM900/1800 getrennt). Achtung Stolperstein: die farbliche Skalierung zwischen den Bildern ist nicht immer gleich.

- Die Absorptionsrate (reflektierte zu absorbierte Leistung)des Gewebes selbst (Fernfeld-Betrachtung) dürfte sich nur unwesentlich zwischen 900 und 1800MHz ändern, aber die Eindringtiefe.

Man erkennt, daß bei GSM1800 der "Hotspot" meist kleiner ausfällt, was aufgrund der kleineren Wellenlänge und möglicherweise der geringeren Leistung bei GSM 1800 auch logisch ist.
- Kleinere Wellenlänge => geringere Eindringtiefe bei GSM1800, d.h. die absorbierte Energie "konzentriert" sich stärker auf einen Punkt (näher an der Oberfläche) als bei GSM900. Dieser Effekt erhöht die SAR (Hotspot kleiner => lokal mehr Energie / Volumen)
- Dafür aber relativ mehr Abstand (Abstand muß relativ zur Wellenlänge betrachtet werden) zwischen Antenne und Kopf, was den Hotspot-Effekt zum Teil kompensiert, d.h. der höhere Abstand wirkt sich wiederum verringernd auf die SAR aus.
- Die geringere Leistung tut ein übriges, wobei ich nicht sicher bin, ob alle Hersteller immer die maximale Leistung (2W/1W) ausnutzen (wg. Mehrkosten, geringere Akkulaufzeit)

Alles in allem ist die maximale SAR bei GSM1800 im Schnitt geringer, als bei GSM900, dafür aber auch die Reichweite/Abdeckung, d.h. ein GSM1800 regelt schneller herauf, so daß man im geregelten Zustand bei GSM1800 sogar eine höhere SAR haben kann.

Die SAR hängt stark von der Handy-Bauform bzw der Antennenkonstruktion (Abstand der Antenne zum Kopf und zu anderen Metallteilen im Handy) ab, daher kann man die SAR nicht ohne weiteres mit einer Formel schätzen.

Tags:
Hotspot, Absorptionsrate

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

charles ⌂ @, Freitag, 04.09.2009, 17:28 (vor 5340 Tagen) @ cassandra

Ich könnte was konstruktives zur SAR Messungsunterschiede bei GSM900 en GSM1800 schreiben, aber auf ausdrücklicher Wunsch werden ich diesmal (als Messprofi) schweigen.

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Charles Claessens
www.milieuziektes.nl

Zusammenhang von SAR-Wert, Leistung und Frequenz?

H. Lamarr @, München, Freitag, 04.09.2009, 18:18 (vor 5340 Tagen) @ charles

Ich könnte was konstruktives zur SAR Messungsunterschiede bei GSM900 en GSM1800 schreiben, aber auf ausdrücklicher Wunsch werden ich diesmal (als Messprofi) schweigen.

Mensch, charles, jetzt zicken Sie nicht, wenn Sie wirklich etwas Konstruktives zur SAR beitragen können, dann bitte ich Sie, das - mir zuliebe ;-) - auch raus zu lassen.

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