SZ: Strahlung als Metapher (Fortsetzung)

RH, Samstag, 06.03.2004, 12:34 (vor 7346 Tagen) @ RH

- Fortsetung

"Strahlen": Man müsste einmal eine Symbolgeschichte dieses Begriffs im 20. Jahrhundert schreiben, den umgangssprachlichen Begriff des Wortes - etwa in der Mediengeschichte - im Verhältnis zu seiner konkreten Bedeutung in der Physik untersuchen. Es ließe sich vermutlich zeigen, dass die heterogensten Effekte zu "Strahlen" werden, wenn es darum geht, das Gefahrenpotenzial einer undurchschaubaren Technik zu verdeutlichen. Bezeichnenderweise erklärt eine Fußnote des Buches "Das große Strahlen - Handy & Co" den ausdrücklichen Unterschied zwischen den Kategorien "Feld" und "Strahl", was die Autoren jedoch nicht daran hindert, den physikalisch unzureichenden Begriff zum Leitwort der ganzen Untersuchung zu machen. Die Semantik des Wortes "Feld" würde vermutlich unpassend agrar-romantische Assoziationen hervorrufen.
Letztendlich geht es bei der Diskussion über die Gesundheitsschädlichkeit des Mobilfunks um folgende Frage: Wie ernst soll man das Anliegen der Kritiker, ihre Hinweise auf erhöhte Erkrankungsraten in der Umgebung von Sendemasten nehmen? An der Faktizität der subjektiven Beschwerden besteht, wie die Handbücher in eindringlichen Reportagen schildern, kein Zweifel; andererseits ist es gut möglich, dass man sich an die Angst vor Mobilfunk, an Geschichten von panischen Wohnungsauflösungen nach der Installation von Antennen in der Nachbarschaft schon bald mit eben jenem Lächeln erinnert, das heute Mahnschriften aus der Frühzeit anderer Medien auslösen. Wie verhält sich also die individuelle Erfahrung der Menschen zu den Gesetzmäßigkeiten historischer Prozesse? Woran liegt es, dass frühere Eisenbahn- und Fahrstuhlpasssagiere oder Konsumenten neuer Kommunikationsmittel offenbar an Krankheiten leiden, für die es bereits kurze Zeit später keine Erklärungen mehr gibt?
Zweifellos ist zu berücksichtigen, dass technische Apparaturen in der Frühphase von Unzulänglichkeiten in der Konstruktion geprägt sind, die im Lauf der Zeit optimiert werden; zweifellos bildet sich bei der zweiten und dritten Generation von Benutzern das heraus, was Wolfgang Schivelbusch in seiner Geschichte der Eisenbahnresse die "zivilisatorische Rindenschicht" der Menschen nennt. Dennoch bleibt ein gewisser fiktionaler Rest der Beschwerden zurück, ein wiederkehrender Phantomschmerz in der Anfangszeit neuer technischer Errungenschaften. Dieser Aspekt der Fiktionalität ist bereits auch in der gegenwärtigen Elektrosmog-Debatte erkennbar.
Keineswegs geht es darum, dass die Patienten in der Umgebung von Sendemasten ihr Leid simulieren würden. Nein, die Symptome der Einzelnen sind allzu real; ihr fiktionaler Anteil beginnt jedoch mit dem Versuch, sie ins Verhältnis zu medienkritischen Positionen zu stellen, die tragische Ursprungslosigkeit einer Krebserkrankung einzugliedern in einen kausalen Zusammenhang. Wenn man die von Biologen, Pädagogen oder Journalisten herausgegebenen Kritiken des Mobilfunks liest, fällt vor allem eines ins Auge: die ständige Überlappung von medizinischen Diagnosen - der angestrebte Nachweis, dass Handys und Sendemasten Erkrankungen auslösen - mit weltanschaulichen Argumenten.
Warum tauchen in einer Untersuchung über die "neuen Gefahren des Elektrosmogs" Passagen auf, in denen es heißt: "Anders als unsere Vorfahren müssen wir - die Freizeitgesellschaft - Ablenkungen erfinden, um den ultimativen existentiellen Kick zu erleben. Bunggee-Jumping. Extrem-Sportarten und ähnliche Freizeitvergnügungen tragen dem Rechnung"? Warum finden sich in dem Buch "Machen Handys krank?" zahlreiche Karikaturen, die die Kommunikationslosigkeit von Schülern im Zeitalter des Mobiltelefons kritisieren? Warum wird - in einem anderen Buch - ein Kapitel dem Thema "Das Handy und der Überwachungsstaat" gewidmet?

Bedrohungstransfer
Deutlich wird, dass die vorgeblich pathologische Wirkung des Elektrosmogs immer schon als Teil einer umfassenderen Verseuchung durch das Prinzip "Mobiltelefon" erscheint. Unternommen wird also eine Art Bedrohungstransfer: Jener weltanschauliche Schaden durch übermäßige mobile Kommunikation wird als Beschreibung eines gesundheitlichen Schadens präsentiert.
Man kann diese Überlagerung der Kategorien auch an der Figur der "Elektrosensiblen" ablesen, die von den Büchern ins Spiel gebracht wird. Sie wird als Seismograph des hochtechnisierten Zeitalters beschrieben, die mit besonderer Wahrnehmungsfähigkeit ausgestattet ist und verborgene Gefahren eher zu ahnen vermag als das passive Sensorium der meisten Menschen. Damit kein Missverständnis entsteht: Vielleicht gibt es tatsächlich eine Personengruppe, die auf elektromagnetische Felder in ihrer Umgebung stärker reagiert und deren Beschwerden keinesfalls bagatellisiert werden darf. Doch das Prekäre der Argumentation besteht darin, dass eine größere nervliche Empfindsamkeit unweigerlich mit einer größeren politischen Mündigkeit assoziiert wird. Die "Elektrosensiblen", so das Buch "Mobilfunk", verfügen ganz unmittelbar über jenes "ausgeprägtere Strahlenbewusstsein", das die Mehrheit der Bevölkerung erst auf dem Umweg rückhaltloser Information erlangen muss.
In der Gestalt der Elektrosmog-Debatte wird also jene technikhistorische Regel sichtbar, wonach Kommunikationsmedien in der Anfangszeit als gesundheitsschädlich gelten. Denn das Insistieren auf dem pathologischen Effekt ist eher als argumentative Strategie einer Kulturkritik aufzufassen, die im Zuge der Etablierung einer neuen Technik unweigerlich abklingt. Könnte es sein, dass sich "Elektrosmog" eines Tages als dichte, hartnäckige Metapher erweist?
ANDREAS BERNARD

© Süddeutsche Zeitung
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