Schweiz: NIS-Beratungsstelle für 20 Personen pro Jahr (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 15.05.2020, 19:31 (vor 1414 Tagen)

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit im Schweizer Nationalrat (SGK-N) hat am 14. Mai die Motion 20.3455 im Nationalrat eingereicht (5G: Beschleunigte Begleitmassnahmen im Bereich der Gesundheit). Darin heißt es:

Der Bundesrat wird beauftragt, bis spätestens zum zweiten Halbjahr 2020 die begleitenden Massnahmen, welche die Arbeitsgruppe "Mobilfunk und Strahlung" in ihrem am 28. November 2019 publizierten Bericht für den Gesundheitsbereich vorschlägt, umzusetzen:

- Monitoring der Strahlenexposition;
- Schaffung einer umweltmedizinischen NIS-Beratungsstelle;
- Intensivierung der Forschung über die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks und der Strahlung.

Eine Minderheit der Kommission (Dobler, Aeschi Thomas, Amaudruz, de Courten, Glarner, Herzog Verena, Riniker, Rösti, Sauter, Schläpfer) beantragt, die Motion abzulehnen.

Begründet wird die Motion wie folgt:

Im Bericht der Arbeitsgruppe "Mobilfunk und Strahlung" wird klar und deutlich festgehalten, dass das Thema der 5G-Umgebungsstrahlung und deren gesundheitlichen Auswirkungen grosse Sorgen in der Bevölkerung auslöst. Angesichts der bestehenden offenen Fragen erachtet es die Arbeitsgruppe für wesentlich, die Forschungsarbeiten in diesem Bereich fortzusetzen. Sie hält auch fest, dass es ihr nicht gelungen ist, sich über allfällige Anpassungen der aktuell geltenden, vorsorglichen Anlagegrenzwerte oder über den Ausbau der Mobilfunknetze zu einigen.

Angesichts dessen, dass knapp die Hälfte der Mitglieder der Arbeitsgruppe Interessenbindungen zur Telekommunikationsindustrie hat, jedoch nur zwei Mitglieder medizinische Fachpersonen sind, die auch die öffentliche Gesundheit im Auge haben, ist es nicht weiter verwunderlich, dass kein Konsens erzielt wurde. Die möglichen Risiken sind zwar bekannt, aber noch nicht ausreichend untersucht, weshalb die Arbeitsgruppe nicht in der Lage war, überzeugende Antworten zu den Auswirkungen von 5G auf die Gesundheit zu liefern.

Es ist begrüssenswert, dass der Bundesrat an seiner Sitzung vom 22. April 2020 beschlossen hat, von den sechs begleitenden Massnahmen, welche die Arbeitsgruppe vorgeschlagen hat, den Ausbau des Monitorings der Strahlenexposition und die Schaffung einer umweltmedizinischen NIS-Beratungsstelle prioritär umzusetzen. Zudem hat er angekündigt, die Forschung über die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks und der Strahlung zu intensivieren.

Die Zeit drängt allerdings, da derzeit zahlreiche neue Antennen installiert werden und die Rufe nach einem Moratorium lauter werden. Der Bericht thematisiert zudem fortzuführende Forschungen über die Zusammenhänge von Strahlenexposition und Krebserkrankungen, Fortpflanzungsstörungen, kognitiven Störungen und unspezifischen Beschwerden, also über Auswirkungen auf hochsensible Gesundheitsbereiche. Die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagenen begleitenden Massnahmen zum Gesundheitsschutz sind deshalb unverzüglich, d. h. bevor irgendwelche weiteren Massnahmen ergriffen werden, umzusetzen.

Kommentar: Details über die angestrebte umweltmedizinische NIS-Beratungsstelle sind im Abschnitt 10.5 des Bafu-Berichts nachzulesen. Dort heißt es, das neue Angebot sei eine "Weiterentwicklung der Umweltmedizinischen Beratungsstelle der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz" (AefU). Bereits jetzt verweisen Schweizer Ämter und Behörden, z.B. das Bafu, Menschen, die glauben, unter Mobilfunkeinwirkung Symptome zu entwickeln, an die AefU. Ich sehe das mit gemischten Gefühlen, denn seinen öffentlichen Verlautbarungen zufolge ist der Verein stark mobilfunkkritisch eingestellt, was nicht weiter zu beanstanden ist, wäre seine Argumentation nicht häufig ein Abziehbild unqualifizierter Meinungsbekundungen aus Kreisen der Anti-Mobilfunk-Szene (Beispiel). Abseits der Öffentlichkeit sollen die AefU diesbezüglich allerdings weniger auffällig sein. Auch in Deutschland gibt es umweltmedizinische Vereinigungen, hiesige Ämter und Behörden verweisen dorthin selbstdiagnostizierte "Elektrosmog-Betroffene" jedoch nicht, sondern an die Umweltambulanzen deutscher Universitätskliniken. Aus gutem Grund, denn 2013 stellte die Bundesärztekammer in ihrem Tätigkeitsbericht fest: "Mit Sorge wurde die Ausübung der Umweltmedizin in Arztpraxen betrachtet, die vielfach durch dubiose Diagnoseverfahren neue Umweltprobleme und -belastungen erst generieren, z. B. die Umweltbelastung durch Arsen. Hier bedarf es einer klaren Abgrenzung zur seriösen Umweltmedizin."

Sollten die AefU ihre Beratungstätigkeit für "Elektrosmog-Betroffene" künftig auf Staatskosten leisten, wird dies den Staatshaushalt der Schweiz nur unmerklich belasten. Denn dem Bafu-Bericht zufolge, der unter Mitwirkung der AefU zustandekam, ist pro Jahr mit nur rd. 20 Personen zu rechnen, bei denen eine vertiefte Abklärung der Umstände Sinn ergibt. Mit Kosten von etwa 2000 CHF pro Person, wäre der jährliche Gesamtaufwand mit 40'000 CHF überschaubar. Nicht enthalten sind in diesem Betrag Kosten für die systematische Erfassung und Auswertung der Beobachtungen und die Berichterstattung sowie die Kosten für die Standardberatung leichter Fälle.

Hintergrund
Zwischenbilanz nach 30 Monaten: Umweltmedizinisches Beratungsnetz Schweiz (2011)

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Umweltambulanz, Bafu, Umweltmedizin, AefU, Meinungsbekundung

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