Massnahmen bei Elektrosensibilität

von Stephan Schall, IZgMF

Interessengruppen schicken Volksvertreter gerne vor, um ihnen den Weg zu bahnen. So kommt es, dass Politiker sich urplötzlich für etwas stark machen, das ihnen zuvor ziemlich egal war. Im Politsystem der Schweiz stehen solchen Vorstößen besonders niedrige Hürden im Weg, dort kann jeder Abgeordnete des Nationalrats (Deutschland: Bundestag) den Bundesrat (Deutschland: Regierung) beauftragen, in einer Sache tätig zu werden. Doch am Beispiel eines Vorstoßes zugunsten überzeugter Elektrosensibler zeigt der Beitrag, der Weg kann auch leicht in einer Sackgasse enden (26.11.2016).

Wer die Website von Josef Zisyadis besucht merkt auf Anhieb, Essen hat für den griechisch-schweizerischen Doppelstaatsbürger hohen Stellenwert. Fast-Food ist seine Sache nicht, weshalb der Theologe 2013 in die Führung der schweizerischen Slow-Food-Bewegung gewählt wurde. Zuvor saß Zisyadis für die Partei der Arbeit während dreier Legislaturperioden im Nationalrat der Schweiz, erstmals von 1991 bis 1996 und dann noch einmal, zuletzt als Nachrücker, von 1999 bis 2011. Was ihn dazu gebracht hat ist nicht bekannt, doch 2009 startete der damals 52-Jährige einen Vorstoß (Motion) zugunsten überzeugter Elektrosensibler. Allem Anschein nach wurde Zisyadis von interessierter Seite informiert und eingewickelt. Weder vorher noch nachher ist irgendeine andere Zuwendung des Parlamentariers zu “Elektrosensiblen” erkennbar. Am 19.03.2009 aber war er deren Held, an diesem Tag reichte er seinen Vorstoß beim Nationalrat der Schweiz ein, sechs Fraktionskollegen schlossen sich an – die Kugel begann zu rollen.

Eingereichter Text des Vorstoßes

Der Bundesrat wird beauftragt, dem Parlament den Entwurf für eine Gesetzesrevision vorzulegen, damit elektromagnetisch hypersensible Menschen als solche anerkannt und Beiträge für die Mindestsanierung ihres Lebensraumes bereitgestellt werden.

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Bild: Parlamentsdienste 3003 Bern

Begründung

Josef Zisyadis begründete seine Forderung mit Argumenten, die erkennen lassen, wer ihn “gebrieft” hatte. Die Begründung hätte ebenso gut von einem Verein für “Elektrosensible” kommen können. Da es Derartiges in der Schweiz jedoch nicht gibt, legen sich dort lediglich selbsternannte “Schutzorganisationen” für solche Menschen ins Zeug, die entgegen aller wissenschaftlichen Befunde unbeirrt glauben, sie könnten die schwachen elektromagnetischen Felder von Mobilfunk-Basisstationen auf unangenehme Weise erfühlen. Zisyadis schrieb:

Die Elektrosensibilität hat körperliche Leiden zur Folge; sie ist eine Behinderung, und Menschen, die davon betroffen sind, bedürfen der Unterstützung und Hilfe, damit sie leben können wie alle anderen.

In den meisten Fällen äussert sich die elektromagnetische Hypersensibilität durch Kopfschmerzen, Augenbrennen, Schwindel, Schlafstörungen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen. Diese Symptome breiten sich schnell aus, da angesichts der schrankenlosen Entwicklung neuer Technologien die nötige Vorsicht fehlt.

Die Gesetzesrevision muss es den Betroffenen erlauben, ihren Wohnraum zu sanieren, beispielsweise indem herkömmliche Stromkabel durch spezielle Kabel ersetzt und die Wände mit einer Spezialfarbe gestrichen werden, die elektromagnetische Felder abweist. Ferner müssen die Fenster mit einer Aluminiumbeschichtung ausgestattet werden können.

In Schweden wurden besondere Vorkehrungen für elektrosensible Menschen getroffen, darunter insbesondere:

► vorrangiges Mietrecht in Gebieten mit niedrigem Strahlungsniveau;

► Anspruch auf Unterstützung seitens der Arbeitgeber, um trotz der Behinderung arbeiten zu können;

► Bau spezieller Räume in Spitälern;

► Verbot von Handys in bestimmten Abteilen öffentlicher Verkehrsmittel.

Es ist nicht auszuschliessen, dass wir es hier mit einer Situation zu tun haben, die an die fehlende Vorsicht im Umgang mit Asbest erinnert. Ich ersuche den Bundesrat daher, eine Reihe einfacher Massnahmen für das Wohlbefinden elektrosensibler Menschen zu treffen.

Stellungnahme des Bundesrates

Abschreibung von Vorstößen

Wem die Gepflogenheiten des schweizerischen Politikbetriebes nicht vertraut sind, der fragt sich vielleicht, wieso der Vorstoß eines Parlamentariers zwei Jahre unbeachtet bleiben kann und warum der Initiator nichts dagegen unternimmt. Das IZgMF bat die Parlamentsdienste in Bern um Auskunft.

IZgMF: Was sind typische Gründe, einen Vorstoß zwei Jahre unbehandelt zu lassen?

Parlamentsdienste: Die Behandlung der verschiedenen Vorstösse ist in den Artikeln 120ff. des Parlamentsgesetzes geregelt. Sie sehen dort, dass der Adressat des Vorstosses – in der Praxis ist dies meistens der Bundesrat – Fristen einhalten muss, um dem Rat Antrag zu stellen zum Vorstoss. Zu Motionen und Postulaten stellt der Bundesrat in der Regel bis zu Beginn der nächsten ordentlichen Session nach Einreichen eines Vorstosses Antrag auf Annahme oder Ablehnung.

Der Grund, warum ein Vorstoss gemäss Artikel 119 Absatz 5 des Parlamentsgesetzes abgeschrieben wird, ist die grosse Zahl an eingereichten Vorstössen. Diese werden übrigens chronologisch nach Ihrer Einreichung behandelt.

Die Grafik zeigt die Anzahl der Motionen, die seit mindestens zwei Jahren hängig waren und deshalb abgeschrieben wurden (Quelle).

Abgeschriebene Motionen02Als Massnahme gegen diese unbefriedigende Situation hat der Nationalrat für sich die Verpflichtung eingeführt, in jeder ordentlichen Session während mindestens acht Stunden parlamentarische Initiativen und Vorstösse zu behandeln (vgl. Artikel 28 des Geschäftsreglementes des Nationalrates). In der letzten Session hat der Nationalrat sogar deutlich mehr als acht Stunden für die Behandlung von Vorstössen aufgewendet.

Hat das Ratsmitglied oder die Fraktion, die den Vorstoß eingereicht hat, keine Möglichkeit, vor Ablauf der 2-Jahres-Frist eine abschliessende Behandlung im Rat (z. B. Abstimmung) zu erzwingen?

Nein, das Ratsmitglied hat direkt keine solche Möglichkeit. Es kann aber nach Ablauf der Zweijahresfrist den gleichen Vorstoss  erneut einreichen. Dies passiert in der Praxis sehr selten, was zeigt, dass ein Vorstoss im Laufe der Zeit in der Regel an Aktualität verliert. Oder das Ratsmitglied kann versuchen, die entsprechende Kommission seines Rates zu überzeugen, einen solchen Vorstoss einzureichen, da die Regel der Abschreibung von Vorstössen ohne Ratsbeschluss von Artikel 119 Absatz 5 ParlG nur für Vorstösse von einzelnen Ratsmitglieder oder von einer Fraktion gilt.

Was genau bedeutetet es, wenn ein Vorstoß "abgeschrieben" wird?

Wird ein Vorstoss abgeschrieben, so ist er erledigt und wird aus der Liste der hängigen Geschäfte gestrichen. Das kann der Fall sein, wenn ein Vorstoss erfüllt ist, wenn der Auftrag nicht aufrecht erhalten werden soll (vgl. Art. 122 ParlG), wenn er wie ausgeführt zwei Jahre nach seiner Einreichung vom Rat nicht abschliessend behandelt ist (Art. 119 Abs. 5 Bst. a ParlG) oder die Urheberin/der Urheber aus dem Rat ausscheidet und der Vorstoss nicht von einem andern Ratsmitglied übernommen wird (Art. 119 Abs. 5 Bst. b ParlG).

Nun ist es nicht so, dass der schweizerische Bundesrat dem Arbeitsauftrag eines Nationalrats unwidersprochen nachkommen muss. Dies muss er erst dann tun, wenn beide Kammern des eidgenössischen Parlaments (Nationalrat + Ständerat) dem Auftrag zustimmen. Zudem hat der Bundesrat das Recht, sich noch vor der parlamentarischen Beratung zustimmend oder ablehnend gegenüber einem Vorstoß zu äußern. So geschah dies auch diesmal, zwei Monate nachdem Zisyadis den Stein ins Rollen gebracht hatte. Am 20.05.2009 bezog der Bundesrat klar Stellung gegen den Vorstoß des Theologen:

Das Phänomen der Elektrosensibilität wird seit Jahren diskutiert und intensiv erforscht. Elektrosensible Personen führen ihre gesundheitlichen Beschwerden auf elektromagnetische Felder zurück. Eine Befragung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) von elektrosensiblen Personen im Jahr 2003 hat gezeigt, dass Schlafstörungen, Kopfweh, Nervosität, Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten die hauptsächlichen Beschwerden sind. Das wurde auch in internationalen Studien bestätigt. Bei der BAG-Befragung liess sich jedoch keine dieser Beschwerden einer spezifischen Quelle von elektromagnetischen Feldern zuordnen. Zudem haben zwei Drittel der Befragten eine andere Ursache für ihre Beschwerden nicht ausgeschlossen.

Die zur Thematik durchgeführten wissenschaftlichen Studien konnten bisher keinen kausalen Zusammenhang zwischen spezifischen Symptomen von elektrosensiblen Personen und der Einwirkung von elektromagnetischen Feldern aufzeigen. Einige solcher Studien, wie z. B. eine Studie zum Einfluss der Mobilfunkstrahlung auf das Wohlbefinden und kognitive Funktionen, wurden auch in der Schweiz durchgeführt.

Die Beschwerden elektrosensibler Personen sind jedoch medizinisch messbar und teilweise schwerwiegend. Sie erfordern grundlegende medizinische Untersuchungen zur Symptomatik sowie die breite Abklärung möglicher Ursachen zu Hause und am Arbeitsplatz. Seit Jahren unterstützen deshalb die zuständigen Bundesämter BAG und Bundesamt für Umwelt Projekte und Initiativen zu spezifischen umweltmedizinischen Beratungsstellen. Zu erwähnen sind beispielsweise das Pilotprojekt "Umweltmedizinische Beratungsstelle" an der Universität Basel oder das "Umweltmedizinische Beratungsnetz" der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, das auch wissenschaftlich begleitet wird.

Der Bundesrat begrüsst alle diese Bestrebungen, welche dafür sorgen, dass diese Personen ganzheitlich untersucht werden. Er stellt jedoch fest, dass Elektrosensibilität eine Selbstdiagnose ist und dass kein kausaler Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Symptomen und elektromagnetischen Feldern nachgewiesen wurde. Damit entbehrt das Anliegen, die Elektrosensibilität als ein medizinisches Handicap offiziell anzuerkennen und entsprechende Massnahmen zu ergreifen, der nötigen wissenschaftlichen Grundlage. Der Bundesrat hält es folglich nicht für sachgerecht, auf die Anliegen einzutreten, und lehnt die Motion ab.

Abwrackung des Vorstoßes

Am 20.05.2009 zeichnete sich eine Patt-Situation ab: Auf der einen Seite Josef Zisyadis der seinen Vorstoß vermutlich aus gutem Grund gestartet hatte. Auf der anderen Seite der Bundesrat, der ziemlich unverblümt zu erkennen gab, er halte die Motion für so überflüssig wie einen Kropf. Jetzt lag es am Nationalrat, als erstbehandelnde Kammer über Zisyadis Forderung zu befinden und im Falle einer mehrheitlichen Zustimmung das parlamentarische Geschäft an den Ständerat zur Abstimmung zu übergeben. Passiert die Motion auch den Ständerat wäre Feinschmecker Zisyadis am Ziel, der Bundesrat muss seinem Auftrag dann trotz gegenteiliger Auffassung nachkommen. Das schweizerische Parlamentsgesetz lässt zu dieser langwierigen Prozedur jedoch eine unkomplizierte Alternative zu, die da lautet: Das Geschäft so lange liegen lassen, bis Gras darüber gewachsen ist, um es dann abzuwracken.

Die Rechtsgrundlage für diese außerordentliche Abschreibung eines Vorstoßes findet sich in den Allgemeinen Verfahrensbestimmungen für Vorstöße (Art. 119 Abs. 5b ParlG). Dort heißt es u. a.:

"Ein Vorstoss eines Ratsmitglieds oder einer Fraktion wird ohne Ratsbeschluss abgeschrieben, wenn ... der Rat den Vorstoss nicht innert zwei Jahren nach seiner Einreichung abschliessend behandelt hat."

Am 18.03.2011 ereilte Josef Zisyadis’ die Härte des schweizerischen Parlamentsgesetzes: Sein Vorstoß wurde, weil seit zwei Jahren vergeblich auf Beratung durch den Nationalrat wartend, als erledigt abgeschrieben.

Quellen

Motion 09.3222: Massnahmen bei Elektrosensibilität

Parlamentsgesetz, ParlG

 

 

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